Kann es sein, dass irgendwie die allermeisten größeren Firmen im Kern dysfunktional sind und nur deshalb überhaupt Geld verdienen, weil es gut definierte Märkte gibt und man ein paar Sachen leicht prozessoptimieren kann?
Meine Erfahrung mit einem der großen Versender von Verpackungsmaterialien, nennen wir ihn KARTONXY:
Ich finde passende Ware auf der Webseite von KARTONXY und bestelle.
Ein Tag vergeht.
im unterirdischen Hauptquartier von KARTONXY entdeckt ein Roboter die Bestellung und teilt mir per Mail mit, dass man einen Teil davon trotz gegenteiliger Angabe im Shop nicht liefern kann. Der angegebene Liefertermin in der Mail: „unbekannt“.
Ich kündige instant an mehrere Adressen die komplette Bestellung bei KARTONXY und kaufe die Ware woanders, wo sich Shopanzeige und reale Lieferbarkeit decken. Interessantes Learning: Offenbar ist die Lieferbarkeit im Shop bei manchen Buden nur so eine Absichtserklärung, die Ware vielleicht irgendwo zu besorgen, falls eine Bestellung eintrudelt. makes mental note
Kurz danach überschlagen sich die Ereignisse: Mitarbeiterin A von KARTONXY fällt auf, dass man vielleicht doch liefern kann. Man schickt mir eine Mail dazu.
Ich teile KARTONXY mit, dass ich die Ware bereits rechtsgültig storniert habe. Siehe Mail vom Xx.xx., XX Uhr, etc.
Ein Roboter im unterirdischen Hauptquartier von KARTOXY verschickt die Ware ohne Rücksprache oder Reaktion auf meine Kündigung. Mitarbeiterin B schickt mir eine Vollzugsmeldung.
GLS schickt mir eine Mail, dass die Ware unterwegs sei.
Ich teile KARTONXY mit, dass ich die Ware bereits rechtsgültig storniert habe. Siehe Mail vom XX.XX., XX Uhr, etc.
Mitarbeiterin C von KARTONXY entschuldigt sich per Mail und bittet, dass ich dann folglich die Zustellung verweigern soll.
Ich hinterlege im GLS-System eine Annahmeverweigerung. GLS bestätigt das per Mail.
Sidenote: Die Ware des anderen Versenders trifft ein. Einfach so. Ohne Ärger. Crazy.
Tage vergehen. Die Sonne zieht ihre Bahnen, der Winter kommt, Eichhörnchen graben Nussvorräte aus.
GLS informiert KARTONXY von der nicht ausgelieferten Sendung und schickt sie an den Absender zurück.
Im unterirdischen Hauptquartier von KARTONXY liest Mitarbeiterin D die GLS-Mail, ist sehr unglücklich, weil die schöne Ware mutmaßlich verschmäht wurde und schreibt mir eine unfreundliche Mail. In der Mail wird festgestellt, dass die Ware „trotz mehrfacher Versuche“ nicht zugestellt werden konnte. Man fordert mich auf, Rücksendekosten von 9,50 Euro zu erstatten.
Ich mache eine rasche Atemübung, um den Puls zu senken.
Ich opfere weitere 10 Minuten meiner Zeit, um KARTONXY in einfachen Worten zu erklären, dass ich irritiert von ihren Prozessen bin und keinesfalls die Rücksendekosten zahle.
Es geht bestimmt hiernach noch weiter, sie müssen mir ja auch noch die bereits erfolgte Bezahlung erstatten, aber ich dachte, ich dokumentiere das schon mal hier.
Als Weihnachtsfolge wünsche ich mir dieses Jahr eine kurze Zusammenstellung aller Gunnar’schen Kundensupport-Eskapaden der letzten 12 Monate. Gemütlich als Hörbuch eingesprochen bitte
Oder ist KARTONXY einfach genau das Gegenteil von dem was du schreibst. Es ist kein riesiges Unternehmen sondern ein sehr kleines. Kein Untergrund-HQ sondern eine 3 Mann Bude, Mitarbeiterin D ist in Wirklichkeit Mitarbeiterin A, hat den Vorgang aber vergessen.
Wahrscheinlich ist aber:
Die Hilflosigkeit kommt zustande durch nich synchronisierte verteilte Systeme…oder hüstel Exceltabellen…mit Informationen zu Bestellungen, Lager und Einkauf. Zumindest Einkauf und Vertrieb stimmen sich nicht ab, weil das streng getrennte Silos. Da gibt es sicher eine Sync Liste, die hat aber die Lagerverwaltung erstellt und das kapiert ja eh keiner.
Und ja, ich würde sagen, das Unternehmen einer bestimmten Größe dysfunktional werden. Vielleicht liegt es am Peter-Prinzip.
Ohne das Geschehene gutheißen zu wollen: Das, was Du erlebt hast, ist eine Optimierung innerhalb der Firma auf das, was direkt messbar Geld bringt: Die Bearbeitung und der Versand der Bestellung sowie das Eintreiben potentieller Rücksendekosten. In einer Welt, in der es Reputationsschäden in Folge von Unzufriedenheit einzelner Kunden nicht gibt (weil sie schwer messbar ist und daher eher ignoriert wird), gibt es keinen Grund, die Prozesse, bei denen die Firma Geld verliert, zu optimieren. Aus buchhalterischer Sicht ist es vermutlich billiger, die Handvoll Fälle wie Deinen manuell irgendwie zu bearbeiten, auch wenn der Kunde (der ja ohnehin kein zahlender ist) darunter leiden dürfte.
Ich vermute daher bei keiner der involvierten Mitarbeiterinnen Inkompetenz, sondern insgesamt die McNamara-Fallacy bei der Arbeit, wenn es um das Design der Prozesse in der Firma geht.
Klar, da ist weder Bosheit noch Inkompetenz im Spiel. War auch gar nicht wirklich schlimm, nur vage irritierend. Aber zwei Dinge sind schon schräg: Dass sie offenbar diverse Mailverkehre einzeln führen anstatt die automatisch einem Kundenaccount zuzuordnen. Und dass offenbar „lieferbar“ ein dehnbarer Begriff ist, das hätte ich für eine harte Währung gehalten.
Die Welt scheint surrealer zu werden. Aktuell bei mir: Nach vertraglich vereinbarter und erbrachter Dienstleistung bei einem international tätigen Grossunternehmen, nennen wir es WASCHMITTELXY, und Rechnungsversand meinerseits, erhalte ich am Freitag eine Mail, die mich auf ein Portal leitet, wo der AI-BOT des besagten Unternehmens versucht mein Angebot (?!) runterzuhandeln
Meine (zugegeben recht begrenzte) persönliche Erfahrung ist, dass sich Firmen ab einer gewissen Größe ungefähr so verhalten wie Ämter. Da hat einfach niemand mehr einen Überblick über alles und keiner weiß, wofür der Typ, der alleine in seinem Büro im Keller sitzt, eigentlich bezahlt wird (vermutlich fürs Netflix gucken).