Etwas komisch finde ich, dass es, wenn im Interview von „Kunden“ die Rede ist, nicht um die Leser geht, sondern um die Firmen, die Anzeigen schalten. Das sind also aus Sicht der Redaktion die „Kunden,“ nicht wir, die die Hefte kaufen.
Du interpretierst da frei was rein, was da nicht drin ist. Wir nannten Heftkäufer „Leser“ und Anzeigenkäufer „Anzeigenkunden“. Es war immer die Maxime im Haus, dass der Leser zuerst kommt. Die Anzeigen waren wichtig als Deckungsbeitrag aber kein einzelner Anzeigenkunde war für mehr als 2-3 Prozent der Umsätze verantwortlich. Das ist bei allen hochpreisigen Heften grundsätzlich so, auch in anderen Teilmärkten. Anders als bei der Regenbogenpresse, beim Focus oder den Frauenzeitschriften, die wirklich Verlust mit dem Heft gemacht haben und das über Anzeigen wettgemacht haben. Oder die meisten Online-Medien, die ja gar keine anderen Einnahmequellen hatten.
Zum Beispiel erwähnt Jörg eher beiläufig, dass andere PC Magazine alle (!) „Herstellerdeals“ hatten, also nicht wirklich unabhängig waren beim Testen.
Mal was grundsätzliches: Produktjournalismus ist nicht möglich ohne Kooperation mit Herstellern. Interviews, Testmuster, Artworks, Infos zur Entwicklung, Vorabversionen, Videos, sogar das Anfertigen von Screenshots – alles kann der Hersteller verhindern, wenn es hart auf hart kommt. Das einzige, was du als Zeitschrift ohne Herstellerkooperation machen kannst, ist Testmuster bei Erscheinen zu kaufen, um dann mit etwas Pech den Test Wochen später im Heft zu haben, wenn das Spiel schon niemanden mehr interessiert. Mit eigenen Illustrationen im Artikel und nur vollständigen Screenshots, weil schon eine Galerie der Waffen eines Spiels (aus ausgeschnittenen Screenshots) das Copyright des Herstellers tangiert.
Vielleicht hätte es einen Markt für eine andere Art Heft gegeben, ein komplett herstellerfernes, eine reine Stiftung Warentest ohne Meta-Informationen, aber es ist zumindest nicht wahrscheinlich. Die CBS hat probiert, sich diesen Anschein zu geben, aber die hatten natürlich auch Exklusivdeals und vom Hersteller gekaufte Vollversionen.
Das ist der Rahmen, in dem die Magazine agiert haben – man braucht eine grundlegende Übereinkunft mit dem Hersteller und hat versucht, in diesem Rahmen unabhängig zu handeln. Das hat schon bedeutet, dass man gewisse Spielchen mancher Publisher nicht mitgespielt hat, die Branche war ja kein monolithischer Block und die Presse war schon sehr mächtig. Die „Deals“, die du als Anzeichen für gekaufte Wertungen zu nehmen scheinst, sind eigentlich nie an Tests oder gar Wertungen gebunden gewesen, die waren auch bei den herstellernäheren Heften immer sakrosankt. Sogar der berühmte absurde Fall mit dem Verlag, der an Einzelhandelsumsätzen eines Spiel beteiligt werden sollte – das hatte 4P öffentlich gemacht –, sah keine Wertungszusage vor.
Ein typischer Deal sah so aus, wie der, den wir in der Stronghold-Folge ein bisschen beschrieben haben: Wir nehmen an, auf Basis unserer Erfahrung und Marktkenntnis, dass ein Spiel ein besonderes Potenzial hat, unsere Leser zu interessieren (und damit eventuell sogar Heftverkäufe zu steigern). Wie etwa Stronghold, das sein eigener Publisher zu Beginn gar nicht ernst genommen hat. Wir gehen aktiv auf den Hersteller zu und bitten um exklusiven Zugang, um Informationen, eine vorgezogene Testerlaubnis, um eine exklusive Demo. Im Gegenzug bieten wir das, was wir logischerweise eh machen würden, weil wir an das Spiel glauben: umfassende Berichterstattung, die Erwähnung der Demo auf dem Cover, eine Titelgeschichte, sowas. Vielleicht ein bisschen stärker festgeschrieben und vielleicht ein bisschen umfangreicher als nötig, aber das war’s schon. Die Leser bekommen idealerweise eine tolle Geschichte über ein Spiel an das wir glauben, der Hersteller bekommt eine Versicherung, dass Coverage in bestimmtem Umfang stattfindet und kann damit arbeiten, etwa gegenüber dem Handel. Ich finde das nicht grundsätzlich verwerflich und sehe auch nicht, dass damit die Unabhängigkeit übermäßig tangiert wird.
Im Kleinen ist das die Vereinbarung bei jeder Presseanfrage: Können wir ein Interview machen? Wenn ja, drucken wir es ab – das ist der Deal, Zugang gegen Abdruck. Warum machen die Medien das? Weil sie das Interview für interessant halten. Warum macht die Firma (oder der/die Interviewpartner/in) das? Weil man sich davon eine positive Wirkung für sein Anliegen (oder seine Partei oder seine Firma etc) verspricht. Gibt es auf einer der Seiten kommerzielle Interessen? Klar, auf beiden. Auch das Interesse, die eigenen Leser glücklich zu machen, ist letzten Endes ein kommerzielles Interesse.
Auch super finde ich, dass Jörg Langer offen zugibt, einmal ausversehen ein unfertiges Spiel getestet zu haben, und auch ansonsten einfach offen redet und kein Blatt vor den Mund nimmt.
Aus Versehen natürlich nicht, aber auch nicht wegen Herstellerdruck. Das war einfach der Versuch, ein exklusives Thema zu bekommen, wie oben beschrieben. Man hat halt gedacht, man könne das Spiel adäquat einschätzen auf der Basis der vorliegenden Version. Das war eine Fehleinschätzung, man hätte an der Stelle abbrechen müssen. Hat man nicht getan, das war ein Fehler.
Generell hat die Presse (wie üblich im Produktjournalismus) aber natürlich unfertige Versionen getestet, das ist ja heute auch noch so. Vielleicht hat man als Leser aber eine falsche Vorstellung davon, was unfertig bedeutet. Die Versionen sind vollständig spielbar, sonst geht das ja nicht. In der letzten Phase einer Entwicklung wird, in der Regel, ja nicht mehr am Spiel an sich gearbeitet (Ausnahmen bestätigen die Regel), da gilt der „Feature Freeze“, sondern am „Polish“, das ist das Optimieren. Und natürlich an Bugs. Ein ordentlicher Test basiert auf einer vollständigen Version, deren Mängel dokumentiert sind. Gibt sicher bessere und schlechtere solcher Versionen und es ist zuweilen vorgekommen, dass sich solche Versionen nochmal verändert haben, ohne dass der Hersteller den Tester davon was gesagt hat, aber das war seltener als Ostern, meiner Erinnerung nach.
Auch sagt er, dass es etwas Neues war, dass die Gamestar komplett unabhängig testen wollte, und er das im Verlag auch durchsetzen musste. Was ich da raus lese ist, dass sonst kein Magazin unabhängig getestet hat.
Ich habe die Stelle nicht mehr im Ohr, aber wenn er das so gesagt hat, ist es Quatsch. IDG gehörte Pat McGovern (Gott hab ihn selig), und Pat war fanatisch auf redaktionelle Unabhängigkeit aus. Ein Chefredakteur, dem man einen beeinflussten Test nachgewiesen hätte, wäre geflogen, da bin ich sicher.