Ich habe im Jahr 2011 schon die ursprüngliche Folge gehört und bin froh, dass es ein Remake gab. Deus Ex hatte auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit verdient.
Als Deus Ex rauskam, war ich 14 Jahre alt. Für mich war Deus Ex daher ein Meilenstein. Ein Spiel, dessen Faszination man heute im besten Fall erahnen kann. Aber damals gab es einfach wenig Spiele dieser Art. Und auch wenn ihr immer zu recht davon berichtet, dass es nicht das erste Spiel war, das […] hatte, war es für einen selbst vielleicht das erste Spiel und hat daher einen besonderen Platz im Herzen.
Ich möchte jetzt nicht noch mal alles rezitieren, was schon im Podcast gesagt wurde. Ich kann vielem bedingungslos zustimmen, aber eine Sache kam mir zu kurz:
Wie schon erwähnt wurde, war der Shooter-Part okay, der Rollenspiel-Part war auch okay, die Grafik war auch okay. Also eigentlich alles eher durchschnittlich.
Deus Ex hatte einfach eine unfassbare Atmosphäre. Eine Atmosphäre, die ich in keinem anderen Spiel bisher erlebt habe. Natürlich sind moderne Spiele dichter, realistischer, ausgefeilter usw.
Aber die Logik besagt ja, dass die eigene Fantasie die Lücken schließt, die ein Spiel offen lässt.
Die Welt von Deus Ex war nicht sehr belebt bzw. lebendig. Vieles hat man auch nur aus Gesprächen und Zeitungsartikeln erfahren. Aber dennoch hat es das Spiel geschafft, mit seinen aus heutiger Sicht einfachen Mitteln eine unglaublich dichte Atmosphäre zu erzeugen.
Für mich hat es sich immer als alternative Wirklichkeit und nicht als Spiel angefühlt. Und auch heute noch würde ich sagen, dass ich in die Welt eintauche und nicht in das Spiel.
Wie am Anfang des Threads schon jemand gepostet hat: Die eingefleischten Deus Ex Fans spielen das Spiel durchschnittlich einmal im Jahr. Es ist wie Dinner For One an Sylvester. Es fühlt sich wie heimkommen an.
Ich denke, dass ich das Spiel mittlerweile zu 99 % durchdrungen habe. Aber ich habe es auch mehrere dutzend Male durchgespielt. Noch für einigen Jahren habe ich immer noch neue Geheimräume, Dialogoptionen etc. entdeckt…und das nach über 10 Jahren!
Ich glaube man kann den Soundtrack einfach nicht genug würdigen. Sie wirkt wie ein Katalysator für die eigene Fantasie.
Wenn ich wieder nach Hell’s Kitchen komme und in die Underworld Tavern gehe und dazu der Soundtrack spielt, dann warten da die Barkeeperin und Joe, der Spion auf mich. Als würden sie seit über 20 Jahren da sitzen und nur darauf warten, dass ich wiederkomme.
Man sagt ja auch, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und das trifft auch auf Deus Ex zu. Zusammen ergibt das eben eine sehr dichte Atmosphäre, auf die man sich zwar einlassen muss, in die man dann aber tief eintauchen kann. Und es sind einfach bemerkenswerte Momente und Szenen, die das Spiel auszeichnen.
Ich mache ein anschauliches Beispiel:
Wenn man in Paris ankommt, dann ist das ja auch erstmal nichts anderes, als der bekannte dunkle Häuserblock, den man schon aus New York und Hongkong kennt. Doch irgendwie fühlt es sich dennoch wie Frankreich an: Der Dialekt der Charaktere, die Musik, die Details.
Bevor man in die Katakomben absteigt, kann man in ein Nebengebäude gehen. Eine Art kleiner Bürokomplex. Dort ist kein NPC, aber man kann ein paar Büros betreten und zum Beispiel ein kurzes Telefonat mit einer mysteriösen Stimme führen. Diese Szene kann man gut und gerne übersehen und man würde nichts verpassen. Aber wenn man dort wieder hingeht, das Paris Theme zum ersten Mal einsetzt und man eben das Telefonat neuentdeckt, dann ist es einfach Magie.
Oder wenn man sich selbst die Sandra Renton Quest zusammenspinnt und sie dann am Ende an der Westküste wieder trifft, dann fühlt es sich einfach gut an. Heute wäre das eine (Neben)Quest, die im Questlog steht und eine kleine Belohnung mit sich bringt mit der Einblendung „Mission accomplished“. Damals war es einfach ein nettes Detail.
Als letztes Beispiel: Wenn ich durch die einsamen Kanäle in Hongkong schwimme und in dunklen Ecken der Stadt irgendwelche Kisten und Kanister ausgrabe und dann das Wasser verlasse und den Hintereingang der Old China Hand Bar betrete, die sich plötzlich wieder belebt anfühlt, in der eine Menge NPCs stehen, die sich unterhalten und mit denen ich mit unterhalten kann. Oder dann doch noch: Wenn ich an der Champs-Élysées das Entfant Terrible durch den Hintereingang betrete und erst mit dem Koch und dem Küchenhelfer und dann mit der Familie rede…
Ach, ich könnte stundenlang weitermachen.
Und das ist vielleicht auch der eigentliche Nucleus des Spiels: Das nette Detail. Das Spiel besteht aus tausenden netten Details und wenn man es wieder spielt, dann läuft man von nettem Detail zu nettem Detail und freut sich einfach nur. Und wenn man eben nach dem 20. Mal immer noch ein neues kleines Detail entdeckt und sich denkt: „Ich bin hier doch schon 20. Mal vorbei gelaufen. Wie konnte ich das übersehen?“
Ich denke jeder Videospieler, der über 30 Jahre alt ist, hat eben dieses eine erste Spiel. Dieses eine erste Spiel, dass einen gezeigt hat, dass ein Computerspiel nicht nur ein Spiel sein kann, in dem man Hindernisse überwinden und Punkte sammelt, sondern auch ein Kunstwerk, eine immersive Welt, etwas, das einen in irgendeiner Weise tiefer berührt.
Für mich und für viele andere war das eben Deus Ex.
Zum Schluss muss ich noch einmal Christian zustimmen und ihm einmal widersprechen.
Zuspruch: Deus Ex Human Revolution war ein würdiger Nachfolger und hat ebenfalls eine Menge Spaß gemacht, auf seine eigene Weise. Auch wenn ich es nicht oft gespielt habe, habe ich es wohlig in Erinnerung. Deus Ex: Mankind Divided und Deus Ex Invisible War spielen für mich nur untergeordnete Rollen. Klar, Invisible War war nicht grottenschlecht. Aber die PC-Portierung war einfach gruselig und ich habe es erst viele Jahre später gespielt und das auch eher obligatorisch.
Widerspruch: Christian hat die Enden kritisiert. Ich sehe das anders. Deus Ex ist einfach nicht das Spiel, das dir konkret zeigt, was jetzt aus wem wurde. Es wird in kleinen Schnipsel angedeutet, in welche Richtung sich die Welt entwickelt. Man kann die Auswirkung seiner Tat erahnen und auch hier den Rest mit seiner Fantasie füllen. Alles andere würde den mysteriösen und geheimnisvollen Flair durchbrechen und wie aufgesetzt wirken.
Und falls es hier doch noch den ein oder anderen gibt, der mit all dem nichts anfangen kann, der soll sich einmal die Öffnungssequenz anschauen. Da bekommt man einen guten Eindruck davon, was Deus Ex auszeichnet. Die Inszenierung, der Flair, die Charaktere, das Setting etc.
Wer davon angefixt ist, der kann ohne Bedenken das Spiel spielen, denn DAS ist Deus Ex. Und vielleicht kann man dann erahnen, welchen Impact das Spiel vor fast einem Viertel Jahrhundert hatte.