Gunnar hat da natürlich eine ganz andere Perspektive drauf, aber ich denke aus der Außenperspektive, dass es da verschiedene Faktoren gibt, warum sich manche Artikel auf dem Markt schwer tun und oft genug nicht durchsetzen können - was nicht heißen soll, dass ich solche Artikel ablehnen würde oder ihnen per se unterstellen würde, nur von ob herab verfasst worden zu sein.
Die Vergangenheit: Es gibt keine journalistische Tradition, die in dieser Richtung bei Computerspielen verankert wurde. In den 80er- und 90er-Jahren bestanden Spiele-Redaktionen aus jungen Menschen, die vor allem Computerspieler waren und spielen wollten. Natürlich gab es vor Ort eine schriftstellerische Ausbildung, aber Making Mags hat oft genug bewiesen, dass damals gezockt und drüber geschrieben werden wollte - und nicht recherchiert, ob Firma X stabile Finanzen hat, was Crunch für psychologische Folgen hat und ob Thema Y in Spiel Z vielleicht moralisch fragwürdig ist. Die Dienstreise zum Hersteller war keine Gelegenheit zur Hintergrund-Recherche, sondern ein cooler Ausflug, bei dem man noch früher etwas anzocken konnte.
Natürlich gibt es zig Ausnahme, die Killerspieldebatte z.B., aber es war nicht in der Breite angelegt, über Previews und Reviews hinaus arg viel zu machen. Entsprechend wurde die Leserschaft erzogen - und die nachfolgende Redakteursgeneration. In Deutschland gibt es keinen Jason Schreier. The Pod wollte mal so starten, aber auch da hat sich einiges bewegt, was dem Podcast ja auch mitunter vorgeworfen wird. „Wie viele Folgen Playthrough zu Mass Effect oder Dark Souls haben sie gemacht? Um Folge 100 herum ging es noch um Glücksspielmechanismen, inzwischen um viele Spielbesprechungen.“ Das ist nicht schlimm, der Markt reguliert das eben in eine Richtung. Aber selbst Jason Schreier wurde vorgeworfen, sich schon im zweiten Buch ständig zu wiederholen und dieselbe Geschichte zu oft wiederholt zu haben.
Die Themen selbst sind auch nicht ganz ohne. Nehmen wir mal an, jemand wollte alle zwei Monate eine Zeitschrift mit den anspruchsvollen Themen füllen. Wenn da pro Ausgabe 15 Artikel zusammenkommen sollen, bräuchte man im Jahr 90 Stück. Und die müssten dann einen entsprechenden „Anspruch“ haben und Kunden ansprechen. Natürlich könnte man mal schauen, wie es zum Cyberpunk-Drama kam, aber das bietet sich ja nicht ständig an. Und wie oft will man schreiben „Skandal bei Studio XY - Crunch!“? Nimmt man andere Themen, wird es inhaltlich (inzwischen) oft schwierig. Animationen durch Palette-Swapping: Das kann man erklären (wurde ja auch schon oft gemacht), aber das ist halt eine Technik aus den frühen 90ern. Wie die Autos bei GTA6 das Fahren lernen? Wie komplex soll der Artikel werden? Und wer hat Spaß daran? Wie viele Kunden gibt es dafür? Und wieso sollte Rockstar verraten, wie sie das machen? Was da an Infos kommt, geht nicht tief genug, um tief zu sein, ist unverständlich für Laien oder ein ellenlanger Artikel, der mit Informationen vollgestopft ist.
Und wenn man mal tief genug bohren kann, muss es in einer Zeitschrift immer noch ansprechend sein und genügend Leser finden - sich also gegen Konkurrenz behaupten können. Gerade heutzutage wird das ja auch noch zusätzlich schwerer. Nehmen wir mal die Funktionsweise von Computergrafiken in den 80er-Jahren. Natürlich kann man dazu zehn Seiten in einer Zeitschrift schreiben oder man guckt drei Folgen 8-bit-Guy und bekommt es schön illustriert in Wort und Bild. Aktuell gibt es wohl kein umfassenderes und tiefergehendes Format im deutschsprachigen Raum, um Informationen über ein altes Spiel zu sammeln, als SF. Man stelle sich mal vor, alle Infos zu KOTOR plus Zusatzfolge hätten wir in einer Zeitschrift lesen wollen. Das wäre ein halbes Buch geworden - oder ein Artikel, dem es gemessen an den SF-Folgen an Tiefe fehlt, ein Problem, in das auch die Return und die Retrogamer taumeln, weil sie eben nicht mehr wie vor 12 Jahren eine vertraute Darreichungsform für Informationen über alle Spiele ohne echte Konkurrenz sind, sondern sich gegen Podcasts und Videos zu denselben Themen behaupten müssen.
Ich schreibe das übrigens als jemand, der die Schriftform liebt. Ich habe zig Bücher über alte Computerspiele im Regal neben mir stehen, kaufe die Retrogamer und die Return regelmäßig und liebe Text. Aber ich merke selbst, dass ich den Retrogamer-Artikel zu Sensible Soccer überblättert habe, weil ich weiß, dass Gunnar die englischen Ausgaben liest und ich mir sicher bin, das jede wichtige Information aus dem Originalartikel in die grandiose Podcastfolge eingeflossen ist. Aber eben dort mit vielen weiteren Informationen. Der Artikel ist für mich nur eine Kurzfassung. Bücher eignen sich für die hier geforderte Tiefe vermutlich eher. Das soll alles nicht heißen, dass ich Artikel doof finde oder man das mit den Zeitschriften lassen sollte, aber mein persönlicher Geschmack ist vermutlich nicht massenmarktig genug, um ein Heft mit Palette-Swapping-Artikeln zumindest kostendeckend dauerhaft zu vertreiben, ohne dass sich die Redakteure selbstausbeuten müssen, was ja auch niemand möchte.