"Ich erinnere das anders"

In den letzten Wochen haben mir ein paar Mal Leute vorgeworfen, auf unterschiedlichen Plattformen, in unterschiedlichen Stufen von Freundlichkeit, hust, meine intransitive Verwendung des Verbs „erinnern“, also ohne „mich“ oder auch nur „an“, sei ein Anglizismus, ganz offenbar von „I remember that“ abgeleitet. Ey, das ist wieder so ein Quatsch, den sich vor 20 Jahren der bescheuerte Bastian Sick ausgedacht hat und seither muss man sich damit rumschlagen.

Weil ich das jetzt ein paar Mal aufgeschrieben habe, tu ich das jetzt auch hier, damit ich drauf linken kann, falls das nochmal kommt.

Also: „Ich erinnere“ ohne „an“ zu benutzen (die intransitive Verwendung), egal, ob mit „das“ oder ohne, ist erstmal korrektes Deutsch. Das gibt es so seit quasi immer, zumindest mal umgangssprachlich.

Der Online-Duden und ein paar Online-Dudes behaupten, es sei eine regionale Wendung (norddeutsch oder österreichisch), aber man hört und sieht das auch oft in anderen Regionen, sogar eher in formeller Sprache oder literarischen Texten als in der Umgangssprache.

Es ist halt nur eine etwas ungewöhnliche Wendung.

Aber hey, schon Goethe hat das so benutzt:

Ich erinnere mich ihrer gleichsam als eines Geistes… (Goethe: Aphorismen)

oder Thomas Mann:

Ich erinnere das wie heute! Alles roch nach Schmalzgebäck und Menschen …
(Mann: Die Buddenbrooks)

… Google Books findet noch lässig 2.000 weitere Ergebnisse. I rest my case.

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Ah, und weil ich grad in Fahrt bin:

Neulich hat jemand (online) Henner gebeten, er möge doch nicht „allerletzte“ sagen, das sei ja Quatsch, weil das „letzte“ kann ja per Definition nicht gesteigert werden.

„Allerletzte“ wird gern von Sprachpuristen angeprangert, ist aber auch korrektes Deutsch, eine Konstruktion, die es in unserer reichhaltigen Sprache schon ewig und an vielen Stellen gibt: Wir trinken die allerletzte Runde, es wird allerhöchste Zeit, das ist mein allerliebster Zeitvertreib, du bist mein allerbester Freund, nimm nur die allernötigste Kleidung mit, das ist die allermindeste Bedingung et cetera.

Ich gebe zu, das kommt dieser Tage ein bisschen aus der Mode, aber ich finde es sehr schön. Es ist eine charmante Steigerungsformel des Unsteigerbaren, die überall in der Literatur zu finden ist.

Und wie im vorangegangen Post: Was für Goethe okay war, darf auch für uns okay sein:

Und so verbringen wir Jüngern eben / Das allerliebste Schlaraffenleben (Goethe: Die Jahre)

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Mit Erstaunen (und einem erhabenen Maß Ehrfurcht) beuge ich mein Knie ob der Ausführlichkeit, mit der hier zu solchen Belangen zweifelhafter Relevanz und Sittlichkeit Stellung bezogen wird.

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Ich nehme das vielleicht zu ernst, meinst du…?

Stimmt wohl. ABER MANCHMAL HABEN LEUTE IM INTERNET UNRECHT, DAS MUSS ICH IHNEN DOCH SAGEN DÜRFEN!!11elf

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Ich weiß nicht, wieviel Newton dein Tastenanschlag bei schreiben hatte, aber ich finde nicht, dass du es zu ernst nimmst.

Nicht unbedingt. Ich bewundere es, für solcherlei Feedback noch kohärente Zeilen aufzubringen statt metaphorischen Werfens fauliger Salatköpfe. An dieser Stufe der Internet-Diskussions-Erschöpfung befinde ich mich jedenfalls.

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Ist, oder war mir als Nutzung des Verbs nicht geläufig, zumindest nicht aus meiner Schulzeit, aber man hört es wieder öfter. Und ja, es mag mir bei dir (oder euch) auch noch öfter vorgekommen sein. Es klingt ja nicht falsch, nur ungewohnt. Und wenn man sich mal damit befasst, erlaubt diese einfachere Nutzung des Verbs doch so einiges, was sonst nicht möglich schien.
In meinem Kopf war zumindest früher immer festgeschrieben, das geht ja ohne Nebensatz kaum ich muss jedenfalls immer etwas um das „mich erinnern“ herum konstruieren, und alles klingt verkompliziert. Da sind die Anglisten und schon voraus!

Wie auch immer, jemandem seine Sprechweisen auch noch öffentlich anzuprangern, kann ich nicht gutheißen.

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Ist mir noch nie aufgefallen :grin:

Wenn den so ist, dann frage ich mich, was für Probleme diese Menschen sonst noch haben :man_shrugging:t3:

Ich verwende meine Sprache auch so, wie mir der Mund gewachsen ist. Zumal ich „allerletzte“ auch selbst in meinem Sprachgebrauch haben. :innocent:

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Ah. Schau. Mein Freund Markus (mit dem ich drüben den https://www.90erpodcast.de/ mache) sagt das auch ständig so. Und der kommt gebürtig ja direkt bei dir aus der Ecke (Holzminden / Stadtoldendorf) Das ist bestimmt die regionale Prägung dort :slight_smile:

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Tatsächlich.

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Goethe sagt in dem Zitat aber „Ich erinnere mich“. :see_no_evil:

Die Variante ohne „mich“ habe ich trotz Dudens Behauptung in Ost- und Südösterreich noch nie gehört. Aber gut möglich, dass das in anderen Gegenden gesagt wird. Und selbst, wenns ein Anglizismus wäre, wärs doch egal. Sprache entwickelt sich eben weiter und übernimmt Vokabeln und Grammatik aus anderen Sprachen oder auch einfach nur Varietäten derselben Sprache. Vor einigen Jahrzehnten war z.B. der „am-Progressiv“ (ich war am Schreiben) noch als „rheinische Verlaufsform“ bekannt, weil nur regional vertreten, mittlerweile ist er im gesamten deutschen Sprachraum verbreitet und löst in Österreich gerade nahtlos den älteren „beim-Progressiv“ (ich war beim Schreiben) ab.

Insofern finde ich es mittlerweile unnötig, sich z.B. für die Verwendung von „Sinn machen“ damit zu rechtfertigen, dass es bereits zu Goethes Zeiten gesagt und geschrieben wurde und somit ja kein Anglizismus sei. Denn auch wenn das stimmt, mag es durchaus beinflusst vom englischen Äquivalent erst so populär geworden sein – aber das ist etwas, womit sich Sprachforscher befassen können. Im Alltag zählt nur, ob etwas soweit üblich ist, dass es verstanden wird.

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Hab ich bewusst so noch nie gehört oder gelesen,wobei ich das mit dem Lesen nicht gewiss behaupten kann,weil Thomas Mann las man ja in der Schule. Aber interessant. Und mehr nördliche Verwendung macht Sinn für mich, da man Gen Norden im Deutschland immer mehr Ähnlichkeiten zu Englisch findet, aber nicht wegen Anglizismen, sondern weil das Deutsch da einfach so benutzt wird.

Wusste nicht, das ich das wissen muss, aber gerne mehr davon :smiley:

Ach, das ist manchmal Besserwisserei und manchmal auch nur ein hilfreicher Hinweis, wie „Gunnar, sprich mal Michigan nicht „Mit-Schi-Gän“ aus“. Ist grundsätzlich ganz eigentlich ganz schön, sich mit der Muttersprache auseinander zu setzen und zu versuchen, sie besser zu beherrschen.

Aber mich deucht, seit der Kolumne von Bastian Sick hatte das eine ganze Weile (mit Ausläufern bis heute) so einen inquisitorischen Tonfall angenommen, weil es der Sick absichtlich oder unabsichtlich von einem Selbsthilfethema (Wie mache ich es richtig) zu einem Diskussionsthema (Warum sind Leute doof, die X sagen) verwandelt hat.

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Aus purer Bosheit hatte ich das Thema ja mit „Liebe alle,“ begonnen. :grin:

Uns den „aller-“ verbieten zu wollen ist auch wirklich das allerletzte. Wir sind mehr! :stuck_out_tongue_winking_eye:

Was mich viel mehr triggert ist sowas wie „in 2024“. Das klingt die mich falsch. :sweat_smile: Hat da jemand die finite Rechtsprechung parat? :slightly_smiling_face:

Das wird schon ein Anglizismus sein, im Deutschen kann man das ja weglassen:

„Das war alles 1997 noch ganz anders!“ oder „Das war alles im Jahr 1997 noch ganz anders!“

Warten wir noch ein paar Jahre, dann hat sich das eingebürgert :stuck_out_tongue:

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Jo, das nervt.

Aber zu den wichtigen Themen: wie geht’s eigentlich deiner Katze? Ist sie immer noch so scheu?

Und nicht zu vergessen, die wichtige Frage:
Reden wir über all das gerade im Oktober „dieses Jahres“ oder „diesen Jahres“ ? :thinking: :laughing:

Von denen ist ja nur eines korrekt, das andere ist schlicht falsch. :slight_smile:

… aber vielleicht bürgert sich das durch Umgangssprache auch ein. :wink:

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Ich glaube ich bin zu sehr in einem „Digga“-Umfeld aufgewachsen um mich darüber aufzuregen, wie Menschen sprechen/schreiben, so lange ich es inhaltlich verstehe. Vielleicht ganz gut so, die Lebenszeit wäre mir dann doch irgendwie zu schade.

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