Rollenspiele: Das Komplexitätproblem

Ich war immer ein Riesen-Fan von komplexen Rollenspielen der Sorte Baldurs Gate. In der letzten Zeit hat sich bei mir aber eine Art Müdigkeit gegenüber dieser Art von Spielen eingestellt.

Man kann ja so ein Rollenspiel auf zwei Arten spielen. Entweder spielt man es intuitiv und oberflächlich, wählt den niedrigsten Schwierigkeitsgrad, genießt die Geschichte und läuft entspannt durch die Spielwelt. Das Problem dabei ist, dass man dann an dem Kern der Spielmechanik vorbei spielt und die meisten Rollenspielkonzepte links liegen lässt. Das ist irgendwie unbefriedigend.

Oder man spielt auf dem schwersten Schwierigkeitsgrad, schaltet alle Informationen im Kampf-Log an, verinnerlicht die Treffchancen- und Schadens-Formeln, pausiert oft und rechnet vor jeder Runde die erwarteten Ergebnisse vor. Hier entsteht das Problem, dass dabei die Immersion in den Hintergrund gerät. Man ist eher ein Buchhalter als ein Abenteuerer.

Es gibt drei Aspekte, die Rollenspiele dieser Art verbessern könnten, um mir mehr Spaß zu machen.

  • Unnötige Komplexität vermeiden. Damit meine ich nicht, dass Rollenspiele oberflächlicher sein müssen. Aber muss es wirklich sein, dass ich zum Berechnen meiner Trefferwahrscheinlichkeit die Werte für Agilität, Modifikatoren, Würfel-Wurf, Rüstung, gegnerische Agilität usw. berücksichtigen muss? Am Ende ist es eine schlichte arithmetische Formel, die ich immer wieder nachrechnen muss, um den Kampf zu verstehen. Warum nicht einfach festlegen, dass ein Dieb immer trifft und ein Kämpfer jedes zweite Mal? Dasselbe gilt für Schadensberechnung. Schadensintervalle wie 2-8 sind unnötig kompliziert. Warum nicht einfach sagen, dass ein Schwert immer 5 Schaden macht? Am Ende wird es nach 1000 Schlägen statistisch eh auf dasselbe hinauslaufen.
  • Spieler nicht mit unnötigen Entscheidungen gleich am Anfang überrumpeln. Ich hasse es, wenn ich wie in Pathfinder oder Pillars of Eternity bei der Charaktergenerierung mit unzähligen Wahlmöglichkeiten überschüttet werde, ohne überhaupt den Kontext zu kennen. Was soll ich priorisieren - Resolve oder Perception? Keine Ahnung, ich kenne mich doch noch nicht aus! Gebt mir nach und nach binäre Entscheidungen, die meinen Charakter allmählich spezialisieren., während ich langsam das Spiel kennen lerne.
  • Mich nur vor bedeutende Entscheidungen stellen. Ich will nicht zwischen zwei Schwertern wählen müssen, bei denen das eine +0.5% Feuerschaden macht und das andere meine Ausweichwahrscheinlichkeit um +0.25% steigert. Ich will zwischen zwei Schwertern wählen, bei denen das eine Untote in Brand setzt und das andere Drachenklauen abprallen lässt. Die Entwickler von Spielen wie Diablo merken selbst, dass diese kleinkarierten Entscheidungen niemand interessieren. Deswegen gibt es die Krücke, dass einem der Kram in einem Damage per Second-Wert zusammen gefasst wird.

Das beste Spiel, das die oben beschriebenen Probleme vermeidet (obwohl kein Rollenspiel), ist IMHO XCOM2. Statt abstrakter Lebenspunkte gibt es hier Kästchen über der Figur, die bei Treffern ausgegraut werden. Eine Rüstung fügt ein oder mehrere Kästchen hinzu. Die Rüstung wird über eine zweite Reihe von Kästchen repräsentiert. Statt Action-Points sieht man einfach auf den ersten Blick die möglichen Bewegungsradien auf dem Spielfeld. Die Entscheidungen, vor die man gestellt wird, sind übersichtlich und intuitiv zu verstehen. Jedes Upgrade fühlt sich wesentlich an. Dabei ist das Spiel trotzdem unglaublich komplex.

Hat jemand Rollenspiel-Empfehlungen für mich, die ähnlich aufgebaut sind?

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Völlig aus der Hüfte und ohne en Detail auf sämtliche Aspekte von Rollenspielsystemen einzugehen:

The Banner Saga

Weil „RNG“-los, was heisst: Kämpfe eher ähnlich einem Schach und ohne prozentuale Chancen und Kleinstmengen an Werten, die mit zu berücksichtigen sind. Das Spiel zeigt dir auf, was möglich ist. Dabei ist die Banner Saga nicht trivial und dennoch fordernd. Ruhig und nicht hektisch.

Deep ist es, wenn du deep einsteigen willst. Nötig ist es nicht.

Edith: Es wird einem die Charaktergenerierung genommen, was vermute ich wichtige Voraussetzung für deinen Wunsch ist.

Und obendrein: Atmosphärisch, erzählstark und einen genialen Soundtrack beinhaltend.

Da du X-Com erwähnt hast, braucht es auch das Cave nicht, dass die Banner Saga etwas… besonders ist im Vergleich zu Baldurs Gate und so.

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Extra Post für extra Spiel:

Betrayal at Krondor

Kein so genanntes Rollenspiel empfinde ich als intuitiver und offensichtlicher auszuführen als dieses. Völlige Einbettung aller Systemanteile in fließende Erzählung, die Kämpfe hart und gnadenlos, aber völlig „trivial“ auszuführen. Du triffst Entscheidungen, die Einschlag haben. Vorher wird dir angezeigt, wie deine Chancen stehen. Das kritisierte Minmaxing wird vom Spiel selbst verhindert.

Edith: Auch hier, keine Charaktergenerierung.

Musik, Erzählung und Setting wurde längst an anderen Stellen/Threads gelobt.

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Danke für den Tipp. Banner Saga hat einen riesigen Nachteil: Ich habe es bereits durchgespielt :wink:

Aber du hast Recht. Es ist tatsächlich ein gutes Beispiel dafür, was ich suche.

Dein anderes Beispiel, Betrayal at Krondor, sollte ich ausprobieren. Ich besitze es, traute mich bis jetzt aber nicht dran. Sollte ich bei Gelegenheit mal ausprobieren.

Mhm, ich mag Erzählrollenspiele wie Krondor ganz gerne, weil mich die Erzählung halt fesselt. Aber „Rollenspiel“ führt für mich als alten P&P Spieler immer wieder darauf zurück, dass ich mir einen Charakter mit bestimmten Stärken und Schwächen ausdenke, der dann durch ein komplexes System repräsentiert wird. Ich kann Stunden in der Generierung für Pathfinder, Stellaris oder Crusader Kings 3 verbringen. Einige Rollenspiele, wie z.B. VTM: Bloodlines erhalten ihre Stärke mitunter durch die Wiederspielbarkeit unterschiedlicher Charaktere.

Leider ist dieses Schöpfen der Handlung aus Charakterwerten eine schwierige Kunst… denn allzu sehr kann ein Spiel nie von seiner Haupthandlung abweichen. Grade Pathfinder und Baldurs Gate machen da ja auch die Mischung auf, dass ein selbst erstellter Charakter eine Gruppe aus NPC mit eigener Geschichte und eigenen Interaktionsmöglichkeiten aufbaut - also quasi das Eintreten eines eigenen Charakters in eine fertige Welt die mit einem interagiert. Das steht dann halt im Kontrast zu einem Might & Magic wo die Charaktere wirklich nur eine pure Manifestation der Kampfmechanik sind und für die Erzählung gar nicht interessieren.

Sind halt unterschiedliche Geschmäcker. Ich mag Beides! :slight_smile:

Edit: Bei Banner Saga wurde mir das System am Ende etwas fad. Ansonsten tolle Prämisse. Ich war nach dem Cliffhanger am Ende des ersten Teils total angefixt. Es hat sich für mich aber nicht bis zum Ende durchgetragen.

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Ich bin ja auch ein Riesenfan von Rollenspielen dieser Art. Habe in Pathfinder 150 Stunden reingesteckt, und in beide Baldur Gates wohl über 1000.

Aber wenn ich heutzutage vor einem Massenkampf mit sechs Party-Mitgliedern und 20 Feinden die Pausentaste drücke und mich dann durch die ganzen Fertigkeiten, Buffs, Bardenlieder, Zauber und Attribute durchwühle, denke ich immer, dass eine Steuererklärung gar nicht mal so schlimm ist im Vergleich. :wink:

Ich will in Rollenspielen schon die Freiheit haben, den Charakter nach meinen Vorstellungen zu entwickeln, und spannende Entscheidungen treffen. Aber wenn ich bei einem Level-Aufstieg in Pathfinder vor einer ellenlangen Liste der zur Auswahl stehenden Fertigkeiten sitze, dann nehme ich statistisch gesehen verdächtig oft eine der ersten drei :slight_smile:

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Mhm… bei Pathfinder gehe ich da schon eher in die Tiefe des Systems weil ich es ganz gut kenne. Dazu kommt, dass das Spiel zum Ende ohne gute Gruppe wirklich schwierig wird (zumindest Kingmaker… das Ding ist ein Albtraum was Balancing und Pacing betrifft).

Ich hab diesen Egal-Faktor eher bei Spielen wie „Witcher 3.“ In dem Spiel ist es vollkommen egal was man sich da zusammenklickt… kommt alles aufs Gleiche raus.

PS: Oder bei Light-RPG Systeme wie AC Valhalla.

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Disco Elysium schon gespielt? :slight_smile:

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Sehr gutes Beispiel dafür. Kommt ohne Kämpfe aus und basiert nur auf Konversationen und Proben. Aber wie das Spiel mit den Entscheidungen und der Charakterauswahl umgeht ist einfach großartig.

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Jap, habe ich gespielt. Gutes Beispiel.

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Hmm, nicht sicher ob die Spiele so 100% passen aber ich hatte an Battlechasers: Nightwar viel Freude (und der Nachfolger im Geiste Ruined King steht fest auf der „zocke ich noch“-Liste. ) Sind nicht übermäßig komplex, dafür kann man nette Builds basteln und schöne Synergien im Team herstellen. Fand ich superkurzweilig und hat mich ein paar Tage ganz prima unterhalten. Optik ist von Joe Mad aka dem Menschen hinter Darksiders und hat mich mit den wilden Comicbook-Farben, überdrehten Portionen, vielen Totenköpfen und dicken Schultern auch gut abgeholt.

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Ich habe mit Chained Echoes angefangen und habe ca. 8 Std. drin verbracht. Eigentlich bin ich kein Fan von JRPG, wollte aber einem Spiel mit gutem Leumund und von einem kleinen deutschen Studio eine Chance geben.
Bis her bin ich von dem Titel sehr angetan. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich gut auf die eigenen Bedürfnisse anpassen, die Grafik ist toll gepixelt. Die Story ist bisher interessant und bietet schöne Dialoge.

Ein was hätte ich noch im Knappsack, aber falls „3rd-Person-Action“ ein No-No ist würde sich weiteres Lesen auch erübrigen.

Outward.

Als PnP-Veteran empfand ich dieses Spiel als einen der besten Versuche, essentielle Bestandteile des analogen Rollenspiels abzubilden. Erneut ohne die Diskussion aufzumachen, was Rollenspiel denn sei.

Cave: War ein 10-köpfiges Entwicklerteam, das Polishing und die Glättung im Spiel ist manchmal etwas krude. Hab aber auch die DLCs und Patches seit langem nicht mehr erlebt, kann sein, dass da viel getan wurde.

Kern des Spiels: Du und Dein Rucksack in einer rauen nicht vertrauten Fantasyswelt ohne Questmarker, Automap oder XP-Grind.

Gibt keine XP, keine Charaktergenerierung, kein Abarbeiten von Quests, keine Vielzahl an NSCs, die um Aufmerksamkeit ersuchen. Survival, Kampf, Erforschung und Erschließung der Welten ist Kern des Spiels. Und dein Rucksack (!). Das tollste Feature aber ist: Du kannst es zusammen mit jemand anderem und das sogar im Hotseat spielen.

Die Welt ist völlig unvertraut und unverbraucht (wirre Mixtur aus Dinos, Sphären-Wesen und Insekten), offen gebaut und regt dich ständig an, sie zu erforschen. Der Soundtrack völlig fresh.

Regelteil und Crafting ist intuitiv, wie wenig anderes. Du probierst aus Spaß am Probieren und Kind, wer nie völlig durch Zufall sich eine „Buillon du Predateur“ gekocht hat. o.O

Dürfte viele Deiner Kriterien erfüllen und einfach dort abgerüstet haben, wo am meisten Frust entstanden ist im Laufe der Zeit.

P.S.: Die Zauberei in Outward gehört zum schönsten Ansatz in einem digitalen Spiel, wie ich es bisher erlebt habe.

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Danke für den Tipp! Den Titel kannte ich überhaupt nicht.

Liest sich sehr gut. Wenn man mit Survival-Spielen überhaupt nichts anfangen kann, wie nervig ist es dann? Ich finde so Materialien sammeln und Kram total zeitverschwenderisch und unerträglich.

Der Survival-Teil ist blumig schönes Beiwerk und nach meinem Dafürhalten verspielt und nicht „stressend“. Kein Vergleich zu „Don’t Starve“ oder ähnlichem.

Und offen gesagt: Ab einer gewissen Zeit ein Selbstläufer/ignorierbar, aufgrund Spielerwissen.

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Klingt gut, so Kram wie Don’t Starve ist für mich der reine Anti-Spaß.
Das Outward werde ich mir mal irgendwo mitnehmen - dürfte ja durchaus günstig zu bekommen sein, kannst Du zufällig was zur Quali des Konsolenports sagen?

Leider nein, leider gar nicht. PC plus Controller. Aber als 3rd-Person-Action-Game ist Controller schon mal großartig.

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Bei Pathfinder Kingmaker habe ich das an mir selbst zuletzt auch sehr festgestellt. Ich hatte irgendwann nicht mehr so viel Lust mich genau mit alles Fähigkeiten, Zaubern und Itemcombos auseinander zu setzen und habe im Endgame lieber immer weiter den Schwierigkeitsgrad runter geschraubt. Geht bei dem Spiel zum Glück sehr gut.

Klar, könnte mir für jeden Charakter den perfekten Build aus dem Netz holen und entsprechend umskillen, war dafür dann aber zu faul. Habe halt eher intuitiv gelevelt und auch mal längere Pausen beim Durchspielen eingelegt. Immerhin habe ich ca. drei Jahre dran gespielt. Dadurch hatte ich dann auch nicht so genau den Plan wo ich mit jedem einzelnen Charakter hin will.

Kingmaker wurde vom Schwierigkeitsgrad her an Systemkenner ausgerichtet, weshalb reine Tank-Klassen zum Spielende nichts mehr von der Platte ziehen und man mit Tonnen von AC über andere Mittel aufwarten muss um überhaupt noch eine Chance zu haben. Das Ding ist ein Albtraum wenn man einfach nur normal vor sich hinspielen möchte. Von daher kann ich jede Spieler verstehen, die da den Schwierigkeitsgrad runterdreht. Das Problem ist, dass die Quirks im System für das Powergaming schon bei geistigen Vorgängern (insbesondere NWN 1 und 2) massiv ausgenutzt wurden um hart überpowerte Charaktere zu erzeugen. Ich glaube dem ist man etwas zu hart entgegengetreten. In meiner Erinnerung ist eigentlich nur Icewind Dale 2 härter was die Herausforderungskurve angeht und das hat mit allen anderen Spielen dieser Kategorie problemlos den Boden aufgewischt.

Dazu kommt, dass Kingmaker leider viel zu lang ist, das Pacing irgendwo unterwegs verlorengeht und das Ende dann teilweise doch etwas „husch, husch“ ist. Die ganze Reise- und Regierungsmechanik nervt im letzten Spieldrittel mehr als dass sie hilft. Und dann war da noch die Sache dass Gefährten, die man zur Steuerung seines Reiches benötigt verloren gehen können ohne, dass man je einen Ersatz erhält wenn man bestimmte Dinge nicht getan hat bzw. andere Gesinnungsentscheidungen trifft. Ich mag Kingmaker für das was es ist - aber leider sind da sehr viele Dinge unstimmig.

Wozu der ganze Wisch? Naja… das Spielsystem selbst ist cool und funktioniert. Es sind eher die Dinge drumherum die für mich problematisch sind.

PS:

Ich habe übrigens aktuell ein gegensätzliches Problem: Nach dem Anspielen von Diablo 4 fühlte ich mich z.B. hart dadurch gelangweilt, dass ich die ersten 3 Stunden nur einen bzw. zwei Mouse-Buttons drücken musste um durch das Spiel zu kommen, während ich durch eine karge und uninspirierte Schneelandschaft lief die nicht so wirklich zur Erkundung einlud. Hab ich das Spiel zu früh aufgegeben? Ich fand es wirklich sehr langweilig und wenig inspirierend. Da gebe ich mir dann lieber Überkomplexität :smiley:

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