Schönes Beispiel dafür, wie wenig hilfreich kleinteiliges Sezieren beim Nachvollziehen von Faszination ist, die ein Spiel, Buch, Film, wasauchimmer ausüben kann, die Folge.
Das „kleinteilige Sezieren“ ist sicher auf mich gemünzt, deshalb hier die kurze Feststellung, dass es mir bei meiner Kritik nicht um das Nachvollziehen von Faszination ging.
Zumal hier ein Maßstab angelegt wurde, der bei vergleichbaren Spielen (Might & Magic wurde im Cast ja mehrfach erwähnt) aus unerfindlichen Gründen eine Größenordnung kürzer war.
Na, dann helfe ich mal, die Gründe findlich zu machen: Might & Magic ist ein Rollenspiel, das ich mag, und Ambermoon nicht. Das ist schon die gesamte erschütternde Erkenntnis.
Wir hatten jetzt in kurzer Folge zwei Spiele, die ich nicht aus eigenem Erleben kannte, Forbidden Forest und Ambermoon. Forbidden Forest ist aus heutiger Perspektive auch völlig veraltet und spielmechanisch spröde, und man kann das eigentlich niemandem guten Gewissens mehr empfehlen. Aber das Spiel weiß genau, was es sein will. Es speist sich aus einer klaren Vision und leitet daraus alle Spielelemente ab, von Grafik und Sound bis zum Gameplay. Das finde ich großartig und zeitlos. Ambermoon dagegen fehlt diese Identität (oder ich sehe sie nicht); es schmeißt Systeme und Inhalte an die Wand, und irgendwas bleibt dann natürlich auch kleben.
Die Meinungsverschiedenheit hier - auch die zwischen Gunnar und mir - dreht sich um die Frage, ob es in einer Stay-Forever-Folge sinnvoll ist, diese persönliche, individuelle Geschmacksentscheidung begründet zu äußern oder nicht. Ich finde das eine sehr gute und auch wichtige Frage.
Sollte es hauptsächlich darum gehen, die damalige Faszination verständlich zu machen? Oder darf man „Test of time“-Maßstäbe anlegen und bewerten, wie gut oder schlecht Spielmechaniken aus heutiger Perspektive gealtert sind? Geht es um eine Beurteilung der Spielmechaniken im Kontext ihrer Zeit, oder um eine Beurteilung der Spielmechaniken im Kontext des gesamten bisherigen Gaming-Korpus?
Und darf unsere persönliche Meinung zum Spiel für die Bewertung eine Rolle spielen?
Ich bin da ehrlich gesagt unentschlossen. Ich merke, dass meine Analyse der (von mir empfundenen) Schwächen der Spielmechaniken von einigen Hörern als unangemessen empfunden wird, weil sie eben gerade nicht dabei hilft, Faszination zu erklären.
Ich möchte an der Stelle aber zwei Pauschalisierungen erwähnen, die mich an der Diskussion stören.
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Nämlich erstens, dass wir offenbar als gesetzt annehmen, dass Ambermoon zu seiner Zeit ein faszinierendes Spiel war. Das könnte man durchaus mal hinterfragen; wir haben im Interview gehört, dass es kein besonderer Verkaufserfolg war, dass das Thalion-Team wenig Feedback dazu bekommen hat, und auch wenn die deutsche Presse sehr angetan von Ambermoon war, fielen die Kritiken in UK gemischter aus. Und es ist auch nicht besonders vielversprechend, wenn man Relevanz herstellen muss, indem man die Linse zuzieht („Ambermoon war ein wichtiges Spiel, aber nur auf dem Amiga, wo es eh nur wenige Rollenspiele gab, und nur in Deutschland“).
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Und zweitens, dass im Cast und hier auch schon wieder in den Raum gestellt wird, dass „alle Rollenspiele dysfunktionale Systeme haben“. Das ist kein Argument, das ist ein Allgemeinplatz. Ja klar, jedes Spiel hat irgendein dysfunktionales System. Und weiter? Die Frage ist, ob und wie sich die (dysfunktionalen) Spielsysteme auf die Spielerfahrung auswirken. Da helfen keine Pauschalvergleiche, sondern nur Einzelfallbetrachtungen.
Zum Schluss ist es mir wichtig, zu betonen, dass ich Ambermoon seine Faszinationskraft nicht abgesprochen habe und im Cast gemeinsam mit Gunnar ausführlich auf Dinge eingehe, aus denen sich diese Faszination speist.
Aus meiner Sicht war das ein bisschen so, als würde man bei C&C nicht nur erwähnen, dass die Ernter oft in die Irre fahren, und erklären, wie damals die Wegfindungsalgorithmen funktioniert haben - sondern in einer Wegfindungsanalyse für alle Spielsituationen die Dysfunktionalität des Spiels feststellen, weil ein zentrales Versprechen (die sinnvolle autonome Bewegung der Einheiten) nicht gut funktioniert, sich fragen, ob das dann wirklich ein Strategiespiel sein kann und das Argument „äh, das war zu der Zeit (und auch zehn Jahre später immer noch) bei allen Spielen so“ wegwischen mit der Begründung, darum gehe es nicht, wir sprechen jetzt über C&C.
Gunnar, das ist ein unglückliches Beispiel. Erstens unterstellt es mir, ich hätte bei Ambermoon aus EINEM System eine pauschale Verdammung des Spiels abgeleitet, dabei habe ich im Gegenteil versucht, meine Kritik mit einer ganzen Reihe von Beispielen zu belegen (was mir natürlich hier ausgelegt wird als „mit Vehemenz Negativpunkt an Negativpunkt gereiht“).
Zweitens wählst du hier deinen Fall so, dass sich dieses eine kritikwürdige System (die Wegfindung) in genau der gleichen Form auch in anderen Spielen der Zeit findet. Bei Ambermoon war dein Argument aber nicht „Christian, dieses System, das du gerade kritisierst, steckt in genau der gleichen kaputten Form auch in allen Spielen der Ära“, sondern „Christian, andere Spiele haben auch kaputte Systeme“. Letzeres wische ich in der Tat weg (siehe oben), ersteres natürlich nicht, das wäre ja ein valider Punkt. Den Punkt machst du aber so nicht, kannst du auch gar nicht, denn Ambermoon ist eben auf seine ganz eigene Weise kaputt. Deshalb ist der Pauschalvergleich mit anderen Rollenspielen auch so wenig zielführend.