Grundsätzlich vorne weg: Aus den von Chris genannten Gründen ist eine Pauschalisierung der Kritik an der Schule und den Lehrern schwierig und unfair. Andererseits ist der Verweis auf die Pauschalisierungsproblematik halt auch eine Möglichkeit, sich gegen Kritik zu immunisieren. Ich denke, in manchen Punkten ist auch eine grundlegende Kritik sinnvoll ohne unfair zu werden.
Ich teile mit Gunnar die Irritation über einige Phänomene an dem System Schule. Erst mal zur Beständigkeit. Der prinzipiell vorhandene Fortschritt pädagogischer Methoden scheint auch nach meiner Beobachtung allenfalls unsystematisch an den Schulen anzukommen. Generationen von Lehramtsstudierenden wird an den Unis und Pädagogischen Hochschulen ein didaktisch-pädagogischer Werkzeugkasten vermittelt, der aus verschiedenen Gründen nur begrenzt zum Einsatz kommt. Gerade vor dem erwähnten Hintergrund, dass die Welt der Lehrmethoden in meiner Wahrnehmung eine relativ dynamische ist, Lehrpläne bspw. mit großer Freude reformiert und geändert werden usw., hat das System Schule in vielerlei Hinsicht eine erstaunliche Beharrungskraft (grobe Beispiele: Noten/Tests/Prüfungen, Klassensystem bzw. Klasseneinteilung, Ferienzeiten, Schulorganisation etc.)
Das zweite Phänomen ist das, was Gunnar als „Random“ beschrieben. Die Beobachtung, dass es selbst innerhalb einer Schule bisweilen offenbar nur wenig gemeinsame Standards in der Lehrerschaft zu geben scheint, sowohl was die pädagogischen Methoden als auch das Management einer Klasse angeht. Das mag in irgendeiner Art von Lehrfreiheit begründet sein. Und aus einer Sicht mit ganz viel Abstand mag man auch den „bunten Methodenstrauß“ begrüßen, der unter solchen Rahmenbedingungen bestenfalls entsteht. Für Eltern, die für Ihre Kinder ein stabiles und pädagogisch fruchtbares Lehr-/Lernsetting wünschen, ist das aber zu tiefst verunsichernd und führt fast zwangsläufig zu dem Eindruck bei den Eltern, dass die LehrerInnen quasi tun und lassen können, was sie wollen oder/und es Defizite bei deren professioneller Grundhaltung gibt. Das Mindeste, was man von der Schule dann verlangen kann, ist, gegenüber den Eltern Rechenschaft über diese „Methodenvielfalt“ abzulegen.
Dritte Beobachtung: Lehrer, die wegen ihres Beamtenstatus angeblich nicht sanktioniert werden könnten. Diese Beschwerde höre ich vor allem oft von meinen Lehrerfreundinnen und -freunden, die sich über KollegInnen beschweren und ganz eindeutig darunter leiden, dass nicht einmal die offene Arbeitsverweigerung in einer nationalen und globalen Krise keine arbeitsrechtlichen hat. Ich halte diese Nicht-Sanktionierbarkeit für einen Mythos, gerade bei Beamten. Ja, es mag schwierig sein, einen Beamten aus seinem Dienstverhältnis völlig zu entfernen. Dafür ist es umso leichter, einem Beamten eine Anweisung zu erteilen, die er befolgen muss. Wenn ich sehe, dass es aus Personalmangel problemlos möglich ist, eine verbeamtete Lehrerin oder einen verbeamteten Lehrer an eine andere Schule abzuordnen und ihm /ihr anstatt 20 Minuten täglichem Arbeitsweg 2 Stunden täglichen Arbeitsweg zuzumuten, dann ist es auch problemlos möglich, dieselben Leute dazu zu bringen, während einer Pandemie ihren Unterricht digital durchzuführen. Wenn die Schulleitung an eine Lehrerin oder einen Lehrer die direkte Anweisung erteilt, dass er die Unterrichtsmaterialien bei Moodle zur Verfügung zu stellen hat, dann wird das in der Regel auch passieren. Nach meinem Eindruck scheinen nicht die fehlenden Sanktionen das Problem zu sein, sondern die fehlenden Anweisungen. Ich vermute hier weniger dienstrechtliche, als vielmehr organisationspsychologische Gründe: Schulleitungen, die sich als primus inter pares verstehen, den Konflikt nicht nur scheuen, sondern gar nicht erst danach suchen.
Ich denke viele der Probleme, die in der Folge angesprochen wurden, gehen letztlich weder auf einzelne Lehrpersonen zurück, noch auf das System als Ganzes, sondern vielmehr auf unzureichend geleitete Schulen. Schulleitungen können klare Vorgaben machen, welche Standards sie einerseits im Umgang mit Schülern und Eltern erwarten und sollten dafür Sorge tragen, dass diese auch umgesetzt werden. Im Gegenzug muss eine gute Leitung auch klar die Grenzen der Zumutbarkeit und Belastbarkeit des Kollegiums gegenüber Schülern und Eltern benennen und verteidigen. Das muss man leben und beständig erneuern. Da reichen eine standardisierte Handreichung und/oder ein paar Motivationsfloskeln in der Jahresbesprechung nicht. Ich denke der Umstand, dass viele Lehrerinnen und Lehrer notgedrungen letztlich zu Einzelkämpfern werden, weil ihnen sowohl eine klare Erwartungshaltung an ihre Arbeit als auch das starke Backup der Schulleitung fehlen, produziert eine Menge Folgeprobleme die man vermeiden könnte, wenn die Schulleitungen ihre Aufgaben energischer wahrnehmen würden.