Das Format ohne Namen #17

Es ist übrigens völlig üblich und in jedem Qualitätsmanagement und Prozessmanagement Konzept das was taugt auch so vorgesehen dass ein Prozess (wozu auch ein Lehrplan- und Unterrichts-Konzept gehören) regelmäßig überprüft wird.

Dazu gehört dass man prüft ob er eingehalten wird ob die „Qualität“ stimmt aber auch ob der Prozess überhaupt dazu geeignet ist die definierten Ziele zu erreichen.

Bei staatlich vorgeschriebenen Prozessen kommt sogar der TÜV oder die Berufsgenossenschaft oder ein anderer geeigneter Prüfer um die Einhaltung zu kontrollieren.

Jede noch so kleine Arztpraxis und jeder Handwerker muss das machen.

Welchen Sinn hat denn überhaupt ein Curriculum inklusive Lehrplan und didaktischem Konzept wenn es dazu keine Zielkontrollen und keine Überprüfung gibt?

Edit: ohne ein Qualitätsmanagement weiß ich ja noch nicht mal ob mein im Expertenrat des Kultusministeriums am Grünen Tisch entwickeltes didaktisches Konzept überhaupt tauglich ist

Na vielleicht habe ich da Zuviel hinein interpretiert…. Manche deiner Aussagen passen zumindest sehr gut in eine solche Argumentaionslinie.

Mein Vater ist Lehrer, meine Frau befindet sich gerade im Referendariat und ich selbst habe sieben Jahre und der Ausbildung zum Lehrer verbracht - um am Ende zu dem Schluss zu kommen, dass ich in diesem System nicht arbeiten möchte (und weil ich nicht wollte, dass unsere Kinder in einem reinem Lehrerhaushalt groß werden)
Ich kann die angesprochen Probleme, glaube ich gut verstehen und den Ärger über die empfundene Ungerechtigkeit nachempfinden. Bei den Ursachen und in den Lösungen sehr ich vielleicht das ein oder andere etwas anders.
Aber ich sehe am Ende wenig Sinn, bzw. Wenig Wirkkraft hier noch weiter zu diskutieren. :wink:

Stattdessen ein paar Gedanken:

  • ich finde es auffällig, wie hier die Diskussion explodiert ist und wie einhellig die Unzufriedenheit war
    (Kaum einer war der Meinung, dass das System gut wäre, es wurden eher Lehrer oder Einzelfälle verteidigt)

  • Ob das Kind nun Lehrer A oder B bekommt, auf Schule X oder Y geht, sind natürlich ärgerliche Zufälle. Aber ehrlicherweise hat dass kind auch keinen Einfluss darauf, ob es als Kind armer oder reicher Eltern, in Deutschland oder der Ukraine geboren wird.

  • Eine sehr einschneidende Erfahrung habe ich als Übungsleiter gemacht. Nachdem ich erst ein Team aus jungen Akademikern in München betreut hatte, habe ich später eine Mannschaft aus dem Arbeitermilleu trainiert. Es war erschreckend, wie viel weniger die Jungs sich zugetraut haben, mit wie wenig Selbstvertrauen sie daran gegangen sind neue Dinge zu lernen - wie abgestumpft sie aus der Realschule gekommen sind; abgestempelt und aussortiert (vlt ein wenig überspitzt…) So groß sind die Intelligenz Unterschiede nicht, dass ist erlerntes Verhalten…

P.S.: Ich durfte tatsächlich noch Altgriechisch im Studium nachholen :wink:

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Die Tatsache, dass das im „System Schule“ überhaupt relevante Auswirkungen auf das Leben von Schülern haben kann ist doch schon an sich falsch.

Das mit „bedauerlicher Zufall“ abzutun greift mit zu kurz.

Es gibt ja keine gesetzlich verankerte „freie Arztwahl“ bei Schule und Lehrern, im Gegenteil bin ich ja durch Schulpflicht und Wohnort als Schüler quasi dazu zwangsverpflichtet mich solchen Unterrichtsmethoden auszusetzen.

Ich kenn leider Schüler die dieses „Ob das Kind nun Lehrer A oder B bekommt ist Zufall“ in Depressionen, Drogenmissbrauch oder sogar versuchten Suizid getrieben hat und ich finde es eine legitime Kritik an unserem gesamten Sxhulsystem dass so unglaublich viel rein von Zufällen abhängt, Zufälle die materielle Auswirkungen auf das gesamte Leben haben und Zufälle die in einem System passieren das im großen und ganzen kaum einer Qualitätskontrolle unterliegt und in der Verantwortliche wenig bis gar nicht sanktioniert werden können

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Ich kenne Familien die wirklich in andere Städte umgezogen sind nur um rechtlich die Möglichkeit zu haben ihr Kind vor den Konsequenzen dieser „Bedauerlichen Zufälle“ zu retten.

Die Ukraine ist außerdem nicht unbedingt ein geeignetes Beispiel. Meiner Erfahrung nach durch meinen Kontakt zu durch den Krieg nach Deutschland vertriebenen Ukrainern ist eigentlich eher so zu werten das das Schulsystem in der Ukraine technisch und didaktisch dem Deutschen deutlich voraus ist

Naja, das hinkt ein bisschen. Die Ukraine und Deutschland werden nicht vom gleichen Regierungspräsidium verwaltet. Ich weiß auch, dass Deutschland die Bildung förderalistisch organisiert und würde mich nicht über systemische Unterschiede zwischen Bayern und NRW aufregen. Oder zwischen öffnentlichen Schulen und Privatschulen. Aber von einer öffentlich verwalteten Schule zu der deneben? Von einem Fach zum anderen, vom einem Lehrer desselben Kollegiums zum nächsten? Nee, das dürfte man schon erwarten.

In München hat seinerzeit die Stadt die Sprengelgrenzen regelmäßig neu gezogen, um zu verhindern, dass Eltern sich ummelden oder sonst irgendwelche Tricks anwenden, um bestimmte Schulen zu vermeiden.

Wobei das vielleicht kein ideales Beispiel ist, ich glaube, da geht es weniger um die Unterrichtskonzepte als um den Versuch der oberen Mittelschicht, die Schulen in Brennpunkten zu vermeiden.

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Da wo ich herkomme gibt es nur eine Schule pro Schulart (Kleinstadt mit einem Einzugsgebiet von vielleicht 50.000 Menschen)

Im erwähnten Beispiel ist die betroffene Familie 35 Kilometer weit weg ans andere Ende des Landkreises umgezogen weil da halt die einzige andere weiterführende Schule im Landkreis ist

Da ist glaube ich mein Gedanke falsch angekommen. Es ging mir nicht um Relativierung und überhaupt nicht darum die Schulsysteme zu vergleichen; das Kind in der Ukraine ist aber vlt. Tod, wächst ohne Vater auf oder ist geflüchtet. Genauso hatte ich Teile Afrikas heranziehen können, in denen das Kind unter Hunger leidet oder China, indem es als Uigur zu leiden hat.
Der Gedanke war, dass das Kind keine Möglichkeit hat, darauf Einfluss zu nehmen, in welchem Umfeld und unter welchen Bedingungen es aufwächst.
=> wir sind sehr viel mehr dem Zufall ausgeliefert als wir glauben.

=> Man kann daraus vielleicht die moralische Verpflichtung ableiten, dass, wenn es so viel Ungerechtigkeit auf der Welt gibt, wir doch wenigstens Einfachen Probleme lösen sollten

Das erklärte Ziel des deutschen Schulwesens ist es doch Chancengleichheit herzustellen und möglichst allen Schülern ähnliche Lebenschancen zu ermöglichen.

Es ist irrelevant auf die Binsenweisheit aufmerksam zu machen dass „unser Leben weit mehr von Zufall bestimmt ist als wir denken“

Das ganze System Schule zielt ja explizit darauf ab den Zufall weitestgehend zu eliminieren in dem es Strukturen und Prozesse und didaktische Konzepte spezifiziert anhand deren man - zumindest theoretisch - überall vergleichbare und zu einem gewissen Maß konsistente Ergebnisse erzielen kann.

Edit: man will ja dass die Bildung der Kinder eben gerade nicht dem Zufall überlassen bleibt

Ist das so?
Ich habe oben schon angemerkt, dass das Schulwesen strukturell auf Selektion ausgelegt ist.

Ich denke, du machst es dir zu einfach. Was heißt denn Chancengleichheit? Wie genau soll das denn aussehen? Es ist eben keine Binsenweisheit, sondern eine fundamentale Feststellung, die man nicht aus dem Blick verlieren sollte.Chancen sind ungleich verteilt und den stärkste, zumindest einer der stärksten Einzelfaktoren für die Schülerleistungen ist das Einkommen der Eltern. Heißt das jetzt, dass jetzt, dass wir alle Gehälter gleichschalten müssen, damit wir Chancengleichheit haben?
Gerechtigkeit ist nicht ganz so simpel.

Ich habe ehrlich gesagt im Moment nicht mehr das Gefühl das du hier mit mir aufrichtig diskutieren willst denn ich habe überhaupt nicht von Gerechtigkeit gesprochen und auch nicht von Gleichmacherei und das eines der zentralen Ziele des deutschen Bildungswesens eine Herstellung von Chancengleichheit ist ist unstrittig.

Das es in der Realität zu Zielkonflikten zwischen den definierten und erklärten Zielen und der praktischen Umsetzung an Schulen kommt ist ja gerade einer der Kritikpunkte.

Das alles hat aber nach wie vor nichts mit Zufall als Lebensrisiko zu tun

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Reiche Eltern können Ihre Kinder beim ersten Anzeichen von Scheitern sofort in ein Internat oder andere Privatschule stecken. Das passierte damals, als ich zur Schule ging, relativ häufig.

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Der Punkt sei dir gegeben, der Grund Latein zu lernen sollte nicht sein, um besser Deutsch zu lernen. In der Tat gibt es dafür auch extra „Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache“, aber es kann - wohlgemerkt als Wahlfach - oft eine gute Alternative wie zum Beispiel für deinen Nachbarn sein. Ich wollte mit dem Beispiel unterstreichen, dass der Elitevorwurf, dem das Fach oft gemacht wird, ungerechtfertigt ist. Aber das war ja nicht dein Punkt, also ein Missverständnis. Was du schilderst, ist kein regionales Phänomen, aber dem versuchen viele Lateinlehrende vermehrt zu begegnen.

Eine Schwierigkeit besteht doch auch darin, dass nicht alle Kinder gleich sind. Was für Kind A doof ist und überhaupt nicht funktioniert und einfach „bad luck“ ist, kann für Kind B genau das Richtige sein. So könnte man auch den Zufall zurückspielen vom blöden Lehrer auf die Schüler. Ich glaube, dass allen an Schule Beteiligten etwas mehr Flexibilität nicht schaden würde. Sich auf andere einzustellen ist ja auch eine nicht zu unterschätzende Fähigkeit.

Was ist die Lösung, um den Zufall zu eliminieren? Dazu müssten alle Lehrkräfte gleich sein. Das wird nur gehen, wenn man sie durch Roboter ersetzt. Das würde auch zu ziemlicher Langeweile führen und ist auch fern der Realität, wenn man sich auch nach der Schule mit verschiedenen Arten von Menschen auseinandersetzen muss. Ich kam als Schüler auch nicht mit allen Lehrkräften gut klar, aber ich habe versucht mich zu arrangieren und zusätzlich wurden auch alle paar Schuljahre die Lehrkräfte gewechselt, was zumindest teilweise eine neue Chance war. Interessanterweise haben sich meine Noten kaum verändert.

Das soll nicht heißen, dass es keine schlechten Lehrer oder meinetwegen auch richtige A****löcher gibt, die vor Klassen stehen. Unbestritten.

Gibt es denn an den weiterführenden Karlsruher Schulen nicht so etwas wie einen „Tag der offenen Tür“, zu dem die Eltern und Kinder der 4. Klassen sich mal die Schulen, das Programm und die Lehrpersonen anschauen und kennenlernen können. Sicher sind solche Tage nicht zwingend repräsentativ, aber man kann ja die Lehrkräfte mal in Gespräche verwickeln, das Schulprogramm sichten und die „Atmosphäre“ der Schule atmen. Würde den Zufall vielleicht auch etwas minimieren.

Klar, weil man es nicht oft genug nutzt. Aber man kommt natürlich schneller wieder rein, wenn man etwas mal gelernt bzw. besser gesagt gemeistert hat.

Du scheinst keinen guten Lateinunterricht genossen zu haben, schade! Dazu möchte ich zwei Beispiele geben und meinen Popkulturgedanken noch etwas ausführen:

Beispiel 1:
Mit meiner 10. Klasse habe ich Cicero gelesen. Für diejenigen, die damit nichts anfangen können: Berühmter Anwalt und Politiker, später auch Philosoph und so, extrem wichtige Figur. Wir haben Auszüge verschiedener Reden gelesen, Gerichtsreden, aber auch politische Reden und analysiert. Warum? Was sollen die Jugendlichen denn daraus lernen?
Grundkurs Rhetorik: Wie hält man eine gute Rede? Wie überzeugt man seine Zuhörer? Wie erreicht man seine Redeziele? Wozu kommen denn da noch Stilmittel rein? Die Schüler lernen an einem Top-Beispiel eine Fähigkeit, die für sie sehr nützlich sein kann. Aber auch umgekehrt: Ich weiß, wie ich mich vor Manipulation durch einen Redner schützen kann, wenn ich weiß, mit welchen Tricks er arbeitet.
Ja, darüber sprechen wir wirklich im Lateinunterricht. Und ganz bestimmt kann man solche Fähigkeiten auch im Deutsch- oder Englisch-Unterricht lernen, unbedingt sollte man das sogar. Manchen hilft aber die zeitliche und kulturelle Distanz zur Antike, um sich unbeschwert von aktuellen Themen und Meinungen mit so einem Thema zu beschäftigen.

Beispiel 2:
Mit meinem Oberstufenkurs habe ich Seneca gelesen. Berühmter stoischer Philosoph, Briefe zur Lebensführung. Ein Brief handelt zum Beispiel vom richtigen Umgang mit der Zeit und verschiedene Arten des Zeitverlustes. Wir übertragen die Gedanken eines antiken Philosophen in die Gegenwart. Was meint Seneca, wenn er davon spricht, dass die schlimmste Art des Zeitverlustes ist, wenn man sie mit Nichtigkeiten verschwendet? Würde TikToks schauen darunter fallen? Die Schüler beginnen fast automatisch, sich über die Verwendung ihrer Zeit Gedanken zu machen. Auf die Spitze getrieben wird das, wenn Seneca ihnen vor Augen hält, dass sie im Prinzip seit dem Tag ihrer Geburt täglich sterben, weil sie quasi jeden Tag dem Tod näher rücken. Und wenn wir erst im Alter darauf achten und sparsam mit unserer Zeit sind, fällt uns auf, dass wir dann nur noch den Teil unserer Zeit übrig haben, der gar nicht so geil ist, weil wir im Alter eben nicht mehr so viel können wie zu unserer Jugend. Das ist jetzt etwas verkürzt dargestellt und mag für uns, die ein gewisses Alter erreicht haben, ein ziemlich naheliegender Gedanke sein, was wir mit unserer Zeit machen, aber für die Jugendlichen ist das greifbar und für manche das erste Mal, dass sie über so etwas nachdenken.

Zur Popkultur:
Ich weiß nicht, wie es dir geht, Gunnar, aber ich persönlich kann jegliche Art von Kultur besser genießen, wenn ich sie besser verstehe oder auch Anspielungen begreife. Natürlich haben die Kinder Spaß mit Harry Potter auch ohne Lateinkenntnisse und es ist auch für das Verständnis echt nicht notwendig. Aber wenn ich checke, was manche Sprüche bedeuten oder warum Snape den Vornamen „Severus“ hat, bockt das schon noch mehr. Die Kinder sind immer sehr erstaunt, wenn ich ihnen das erzähle. Wenn ich weiß, dass Shakespeares Romeo & Julia eigentlich nur eine aufgewärmte Form von Pyramus & Thisbe ist oder warum die Romulaner so sind, wie sie sind, habe ich schon noch mehr Freude daran. Wenn ich von der Band Bastille den Song „Icarus“ höre und den dahinter stehenden Mythos kenne, verstehe ich den Song besser. Klar, er klingt nicht anders und ich kann den auch so feiern, aber hey, jetzt sage ich es mal ganz platt: Dinge zu Wissen ist geil. :wink:


Ich möchte wirklich noch mal herausstellen, dass ich keineswegs denke, dass jeder Latein lernen muss, wirklich nicht, es ist als Wahlfach schon gut aufgehoben. Und wahrscheinlich kann man die meisten Dinge auch auf andere Weise lernen. Aber das trifft doch auf fast alles zu. Bis auf Deutsch, Englisch und Mathe, die man so direkt für sein Leben braucht (wenn auch nicht alle Inhalte) leben doch alle Fächer von ihren „Sekundäreffekten“, wie du es nennst. Dazu vielleicht interessant: In Hamburg werden gerade die Bildungspläne neu geschrieben. Im Zentrum steht dabei, die Schüler zu einer positiven gesellschaftlichen Teilhabe zu befähigen. Hierbei werden die Inhalte sämtlicher Fächer unter den Leitperspektiven „Bildung für nachhaltige Entwicklung“, „Werte für ein gelingendes Zusammenleben in einer solidarischen, vielfältigen Gesellschaft“ und „Leben und Lernen in einer digital geprägten Welt“ überarbeitet.

In meinem Traumschulsystem können Kinder abgesehen von Pflichtskills, die nun wirklich alle brauchen, nach eigenen Talenten und Interessen selbst wählen, was sie lernen. Das wird aber aus verschiedenen Gründen ein Traum bleiben, nicht nur, weil es eine organisatorische und finanzielle Unmöglichkeit ist, sondern weil ehrlicherweise auch viele Kinder gar keine Ahnung haben, was es da draußen alles so gibt und sie Sachen erst kennenlernen müssen.

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Ich gebe zu, ich neige ein wenig zur Polemik und ich verwende gerne drastische Beispiele - weil ich finde, dass sie Widersprüche deutlicher Aufzeigen und man sich nicht im klein klein verliert. Ich könnte jetzt wieder Argumentieren, Ich bin inzwischen aber der Überzeugung, dass es in Foren oft irgendwann schwierig wird eine Diskussion über einen. Gewissen Punkt hin aus zu betreiben - von daher würde ich dir zustimmen, das es vielleicht nicht mehr so sinnvoll ist hier noch weiter zu diskutieren :grin:

Ich möchte aber vielleicht nochmal erläutern :wink:

Mir ging es darum, ein Denkangebot zu liefern - eine Überlegung, die ich hatte, die VLt sinnvoll weiterführt zu neuen Erkenntnissen - oder eben nicht.
Mir ging es nie um “Zufall als Lebensrisiko” sondern mein Gedanke war, dass unser aller Leben sehr sehr stark beeinflusst wird von den Umständen, in die wir hineingehören werden - nen es Schicksal, nen es Zufall…. Und das die Schule als Institution das nicht wirklich beheben kann, sondern viel eher mitträgt.

Ich denke, dass es wichtig ist, sich mit dem Begriff Chancengleichheit auseinanderzusetzen und ihn nicht als gegeben zu nehmen. Was bedeutet Chancengleichheit? Wer ist inkludiert? Wer wird ausgerschlossen? Welche Aspekte möchten wir ausgleichen, welche nicht? Wie gehen wir mit außerschulischer Förderung um? Fördern wir gezielt benachteiligte? Ich bin der festen Überzeugung, dass eine tief gehende Auseinandersetzung mit der CHancengleichheit wichtig ist, will man über das Niveau eines Kneipengesprächs oder meinetwegen eines Familiengespächs, das (durchaus gerechtfertigt) über die Zustände meckert, hinausgehen.
Ann kommt man nämlich zu den Punkt, den kon.tinue aufgreift und ausformuliert: Die Perspektive ist wichtig. Geht es darum, dass alle Kinder vom Lehrer die gleichen Chancen bekommen? Oder VLt darum, dass alle Kinder die gleiche Chance Haben einen Lehrer zu finden, der ihrem Wesen entspricht?
Ich will sagen, es ist nicht nur die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit- auch unsere Wünsche unterscheiden sich - weil Chancengleichhgeit je nach politischer Gesinnung, je nach Weltbild eben auch etwas anderes bedeuten kann.

Doch. Natürlich. Bin von Schule zu Schule gerannt, mit 500 anderen Eltern, habe mir all die Sachen angehört, auch mal mit Lehrern gesprochen. Und vermutlich bin ich zu dumm dazu, aber ich konnte dnicht ahnen, wie schlecht der Unterricht sein würde aus dem Anschauen der Choraufführungen, den abgelesenen Reden der Rektoren und den 30-Sekunden-Gesprächen. Bei aller Liebe, du musst auch mal eine halbe Sekunde lang den Blick aufwenden, wie das System von außen aussieht – das ist für Eltern kaum zu durchschauen, nicht mal mit pädagogischer Vorbildung. Meine Hauptmethode ist Shaming und Druck, das hat mir keiner gesagt, komischerweise. Ehrlicherweise habe ich das nicht mal nach den ersten zwei Jahren geahnt, hab halt immer nur die souverän auftretenden Lehrer zwei Mal im Jahr in den Sprechtagen gesehen. Aber jetzt nach vier Jahren erscheint mir das alles sehr deutlich als ein systematisches Problem der Schule, vielleicht sogar der Mehrheit der Schulen. Und vielleicht auch ein systematisches Problem des Berufs und der dazugehörigen Ausbildung – ist schon zumindest anekdotisch auffällig, wie weltfremd viele Lehrer sind. Aber das ist natürlich nichts, was ich wirklich sinnvoll beurteilen kann, granted.

Das ist ein Dammbruchargument. Wenn wir die Qualität streamlinen würden, wären automatisch morgen alle Lehrer Roboter? Da erwartest du jetzt hoffentlich keine Antwort drauf :slight_smile:

Okay, wir hoffen also einfach, dass die Tatsache, dass Bildung Zufall ist mit guten und schlechten Methoden, guten und schlechten Lehrern, guten und schlechte geführten Schulen, irgendwie zufällig durch die Schülerzuordnung zu guten Resultaten führt, weil schlechte Methodik mit Drohungen statt Motivation ist halt eigentlich gar nicht objektiv schlecht, sie muss nur zufällig auf die passenden Schüler treffen. Hm.

Ich weiß nicht, wie es dir geht, Gunnar, aber ich persönlich kann jegliche Art von Kultur besser genießen, wenn ich sie besser verstehe oder auch Anspielungen begreife. Natürlich haben die Kinder Spaß mit Harry Potter auch ohne Lateinkenntnisse und es ist auch für das Verständnis echt nicht notwendig. Aber wenn ich checke, was manche Sprüche bedeuten oder warum Snape den Vornamen „Severus“ hat, bockt das schon noch mehr. Die Kinder sind immer sehr erstaunt, wenn ich ihnen das erzähle.

Klar. Ist schön. Ein Gefühl für den Namen „Severus“ bekommt man übrigens auch mit Englisch, wenn man die Vokabel „severe“ lernt. Klar ist das irgendwie befriedigender, wenn man das aus Latein herleitet statt von einer englischen Alltagsvokabel mit französisch-lateinischer Wurzel. Aber mei. Man versteht auch mehr Fremdwörter, wenn man das Graecum hat. Aber nun.

Ich will das Latein gar nicht schlecht reden, wer das als zweite oder dritte Fremdsprache lernen will, soll das tun. Ich bin nicht für eine auf berufliche Verwertbarkeit getrimmte Schule, ich bin für eine Schule, die effizient organisiert ist, die Lebenszeit der Schüler nicht verschwendet, sich nicht als hoheitlichen Zweck versteht, sondern als Dienstleister für die Gesellschaft. Ich bin in allen Organisationen, egal, welcher Art, für Führung und Prozessorientierung. Das ist imho nicht zu viel verlangt, von einer Institution, die mit Steuergeld finanziert wird und der man nur schwer ausweichen kann.

Wie bereits gesagt, ich bin ja voll bei dir, dass es auch eine ganze Reihe schlechter Pädagogen, Lehrkräfte und Schulleitungen gibt. Aber genauso gibt es auch superengagierte Lehrkräfte, die über ihren normalen Arbeitsumfang hinaus viele Sachen erledigen und sich für ihre Schüler einsetzen.
Natürlich werden die negativen Beispiele immer klarer herausgestellt als die positiven. Kennen wir doch alle auch aus anderen Bereichen. Die 1000 zufriedenen Nutzer/Käufer/Besucher sind still, aber die vier unzufriedenen sind umso lauter. Was gut ist, wird für selbstverständlich hingenommen, was schlecht ist, darüber wird gesprochen. Das soll keine Klage meinerseits sein, sondern ein Erklärungsansatz dafür, warum es oft so wirkt, als wäre das ganze System kaputt. Es gibt berechtigte Kritik und reichlich Punkte, an denen man ansetzen sollte, aber diese Generalkritik finde ich sehr problematisch, zumal sie die teilweise ohnehin schon harten Fronten noch weiter verhärtet.

Da hast entweder du mich falsch verstanden oder ich dich zuerst. Ich glaube wir sind uns einig, dass Drohungen und Angst keine erstrebenswerten Methoden in der Schule sind. Was ich meinte, war zum Beispiel, dass Schülerin A total gut mit Lehrervorträgen zurecht kommt und nach Anleitung wunderbar motiviert lernen kann und Schüler B viel motivierter ist, wenn er entdeckend und in einer Gruppe lernen kann. Schülerin C wird dann noch zusätzlich motiviert, wenn digitale Medien verwendet werden. Und so hast du es in jeder Klasse und auch in viel höherem Maße als früher, weil heutzutage auch noch Kinder mit Inklusionsanspruch und und und hinzukommen. Da stößt du irgendwann an deine Grenzen, wenn du allen gerecht werden willst, weil du nicht für jeden im Unterricht einen individuellen Stundenverlaufsplan schreiben kannst.

Ein grundlegendes Problem liegt darin, dass sich der Unterricht leider zu oft an denen orientiert, die den Lehrkräften die meisten Probleme bereiten. Nehmen wir an, dass du eine Klasse mit 25 pubertierenden Teenagern hast. Nicht unrealistisch ist, dass du da fünf dabei hast, die du auch mit den motivierendsten Methoden nicht zur Mitarbeit bringst, die einem auch wirklich tolle Projekte zerschießen, die jede Möglichkeit ausnutzen, um für Unruhe zu sorgen, die sich auch noch gegenseitig hochschaukeln usw.
Leider wirkt sich das oft auf den Unterricht und die Methoden für die ganze Klasse aus, weil siehe oben.

Wir haben, wenn ich dich richtig verstehe, unterschiedliche Ansätze, warum Lehrkräfte Drohungen und Druck als Methoden verwenden:

A) Du denkst, dass sie das machen, weil sie nicht wissen, wie man die Schüler richtig motiviert (das könnte implizieren, dass die Ausbildung falsch ist, dass sie zu faul/bequem sind, sich in der Hinsicht Mühe zu geben oder dass Lehrkräfte ernsthaft denken, dass das eine gute Art der Motivation ist oder es ihnen gar Spaß bringt.)

Dem würde ich zumindest teilweise entgegenhalten, dass das zumindest im Referendariat schon ein zentrales Thema ist und auch auf Fortbildungen immer wieder Thema ist. Faule und bequeme Lehrkräfte gibt es auf jeden Fall, aber ich würde die nicht in der Überzahl sehen. Und in den Lehrerzimmern, die ich bislang von innen gesehen habe, wird eher nicht über die neuesten Methoden gesprochen, um Schülern mal so richtig Angst zu machen und zu unterdrücken, sondern viel mehr über Lösungsansätze bei Problemfällen wie oben beschrieben, Austausch gut funktionierenden Materials usw. Ganz ehrlich, es mag auch Sadisten unter den Lehrkräften geben, aber ehrlicherweise tut sich damit keine Lehrkraft einen Gefallen und so ein Unterricht macht so viel weniger Spaß als motivierender Unterricht, bei dem viele Kinder mit Freude bei der Sache sind.

B) Ich denke, dass die Lehrkräfte zu solchen Methoden greifen, weil sie durch immer weitere Anforderungen und immer weniger Unterstützung (von Seiten der Schulleitungen, Eltern, Ministerium) zuweilen gar nicht mehr dazu in der Lage sind, die Unterrichtsqualität zu verbessern. Druck auszuüben ist manchmal einfach der leichteste Weg.

Womöglich bedient das wieder das Klischee des faulen Paukers mit seinen 12 Wochen Urlaub im Jahr, der vormittags recht und nachmittags frei hat. Vielleicht hat das bei einigen Lehrkräften auch eine gewisse Berechtigung. Aber ich bin ganz ehrlich: Ich sitze an jedem Wochenende an der Vorbereitung und auch werktags mal bis 22 Uhr. Ich investiere relativ viel eigenes Geld in gute und motivierende Materialien und eigenes Arbeitsmaterial. Ich mache es aber gerne, weil mir mein Beruf Spaß macht und ich es mir aktuell zeitlich erlauben kann, weil ich keine eigenen Kinder habe, die auch etwas von meiner Zeit wollen würden.


Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich dich und einige deiner Kritikpunkte absolut verstehen kann, es muss sich auch wirklich etwas tun im deutschen Bildungswesen. An manchen Stellen ist mir die Kritik aber zu einseitig und verallgemeinernd und wird vielen guten und engagierten Lehrkräften, die es da draußen gibt, wirklich nicht gerecht. Wir haben offensichtlich unterschiedliche Sichtweisen, was aufgrund unserer Perspektiven ja auch nicht verwunderlich ist.

Den Podcast und die Diskussion im Forum nehme ich gern als Anlass, um den Blick auf das System, in dem ich mich befinde, zu schärfen und zu schauen, was ich auf unterster Ebene dazu beitragen kann, um etwas zum Besseren zu ändern. :slight_smile:

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Vielleicht, vielleicht. Kann sein.

Aber meine Hypothese ist: Es ist genau andersherum. Die Lehrer und die Bildungspolitik rechtfertigen die Strukturen gern mit theoretisch erreichbaren Ergebnissen, auch du mit deinen Positivbeispielen des Lateinunterrichts. Die gibt es sicher, aber ehrlich:

Würden Krankenhäuser Operationsmethoden so bewerten, wären 50% der OPs tödlich. „Ach, Doktor Krawuttke hat im Studium grundlegende Techniken nicht gelernt und sich nicht fortgebildet, den setzen wir jetzt seltener bei Herz-OPs ein. Ist ein bisschen blöd, dass der den Angehörigen der Patienten die Schuld gibt, wenn jemand stirbt, aber nun, sind ja nur noch 13 Jahre, bis er pensioniert wird. Ist aber auch nur eine Ausnahme, Dr. Wolkenstein im Krankenhaus nebenan macht tolle Medizin!“

Ich würde denken, die Schule ist nur durch den Föderalismus und die Tatsache, dass so viele Schüler und Eltern sich selber die Schuld geben, davor geschützt, noch viel, viel massiver in die Kritik zu geraten.

Ich hatte neulich eine Diskussion mit einem Referendar zum Sportunterricht, das Gespräch war genau so wie mit Dir - ich kam mit meiner „Generalkritik“ (die ja keine ist, ich spreche über persönliche Erfahrungen), er mit seinem eigenen Unterricht und den aktuellen Erkenntnissen des Sportstudiums. Auf Nachfrage, ob denn der Rest des Kollegiums auch auf diese moderne Art unterrichtet, musste er zugeben, dass er der einzige ist.

Es wäre echt sinnvoller, wenn Lehrkräfte nur mal so als Denkmodell davon ausgehen würden, dass das Verhältnis umgekehrt ist: nicht toller Unterricht allerortens und ein paar schwarze Schafe, sondern schlchte Strukturen, falsche Incentives und daraus resultierend oft schlechter Unterrricht in der Mehrzahl und wenige Helden und Heldinnen (oder auch ganze Kollegien), die es trotzdem super machen. Ist vielleicht auch nicht die absolute Wahrheit, aber dann könnte käme man mal über die Diskussionstopper hinweg.

Bei aller Liebe und so dankbar ich für deine sachlichen Einlassungen bin, du drehst hin und wieder meine Beschreibungen ins Extreme, damit du dann gegen die Extremposition argumentieren kannst. Das hilft der Diskussion auch nicht recht. Ich habe nicht von Sadisten gesprochen, es geht auch nicht drum, Schülern „eins auszuwischen“. Das was ich beschreibe, hält eine Mehrheit der Lehrkräfte an der besprochenen Schule, nette und kompetente Leute fast alle, für eine okaye Methode. Das betrifft nicht nur Tests, das zieht sich durch die gesamte Kommunikation der Kollegen und Kolleginnen.

Reales Beispiel, ich habe Dutzende davon: Der Mathe-Unterricht eines noch relativ jungen Lehrers, in den 30ern, besteht im Wesentlichen daraus, dass der Lehrer die einfachen Aufgaben vorrechnet oder vorrechnen lässt und die schwierigeren als Hausaufgabe kommen. Hat man die nicht verstanden und keine Hilfe von den Eltern erhalten, steht man in der nächsten Stunde da und muss offen vor der Klasse ansagen, dass man das nicht konnte. Der Lehrer kpntert dann mit full-on shaming: *„Boah, das ist doch so einfach, das müsstest du können!“ * Komischerweise gibt es wenig Nachfragen von den Schülern, wenig Nachfordern besserer Erklärungen et cetera. Wenn man dann nicht wenigstens die Aufgabe sauber abgeschrieben hat und irgendeinen Rechenversuch sichtbar dokumentieren kann, gibt es auch noch einen Strike für Hausaufgabe nicht gemacht. Drei Strikes = Nachsitzen. Naja, und die Arbeiten fallen immer mal wieder überraschend schlecht aus. Tja, der Kollege folgert dann, dass die Schüler nicht gut lernen und denkt laut vor der Klasse über mehr unangekündigte Tests nach.

Und jetzt lass uns mal gemeinsam nachdenken, wie viele Schüler das überhaupt zuhause erzählen, wieviele Eltern der Klasse das überhaupt als Problem begreifen. Sowas passiert tausendfach jeden Tag, ohne dass es je dazu kommt, dass so jemand, der in bestimmten Teilen der freien Wirtschaft vielleicht wegen Inkompetenz gefeuert würde, ÜBERHAUPT mal mit Kritik konfrontiert wird. Wo soll die auch herkommen? Nicht von den Kollegen, nicht von der Führung, kaum von den Schülern, und die Eltern sind mit der Beurteilung auch überfordert.

Solche Leute bräuchten Fortbildung, Coaching oder zumindest soviel Führung, dass sie auf Defizite hingewiesen werden. Oder, aber das ist natürlich viel verlangt, viel professionelle Eigeninitiative. In den Teamstrukturen eines Unternehmens würde der Team-Lead mit demjenigen vielleicht einen Plan machen, ein klares Commitment einfordern und über Zwischenschritte versuchen, eine Verbesserung durchzuführen. In der Schule, so scheint mir, gibt es nichts. Mal eine Fortbildung, vielleicht der Rat eines Kollegen, nichts systemisches.

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Ich habe mir schon oft gedacht, dass beim Anreiz bzw. der Motivation, Lehrer zu werden, oftmals was falsch läuft. Auch von ehemaligen Schulkollegen als anekdotische Erfahrung: „Ich mag Geschichte, also studiere ich halt Geschichte auf Lehramt und werde Geschichtelehrer.“ – „Mathematik ist mir immer leicht gefallen, werde ich halt Mathematiklehrer.“

Dabei sollten in einer besseren Welt ja hauptsächlich diejenigen den Lehrberuf ergreifen, die gerne lehren (das Fach ist dann sekundär), nicht diejenigen, die sich für Fachgebiet X interessieren und sich denken, dann werde ich halt Lehrer für X, das ist einfach.

Ich weiß von mir selbst, dass ich ganz schlecht darin bin, anderen etwas beizubringen – hätte ich mein Studium auf Lehramt ausgerichtet und wäre Lehrer geworden, wäre ich fachlich gut, aber trotzdem ein furchtbarer Lehrer. Aber leider gibt es nicht wenige Lehrer dieser Art.

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Joa, weiß nicht, inwiefern das vergleichbar ist. In Krankenhäusern arbeitet bei OPs ein ganzes Team von Leuten an einem Patienten, in Schulen eine einzelne Lehrkraft mit ~25 Jugendlichen pro Klasse. Bessere Arbeitsbedingungen (dazu würde ich neben dem Verteilerschlüssel unter anderem auch Möglichkeiten zu kollegialen Hospitationen und zur Teamarbeit im Kollegium zählen) wären der Unterrichtsqualität sicher nicht abträglich und dass der Föderalismus in die Tonne gehört, darüber brauchen wir nicht reden.

Also reden wir nur über Einzelfälle? Ich verstand dich so, dass du schon die Mehrheit der Lehrkräfte und den Großteil des Schulsystems in die Kritik nahmst.

Sorry, war nicht beabsichtigt! Weil das so ein emotionales Thema ist, habe ich deine Aussagen womöglich schärfer wahrgenommen als sie sind. Mea culpa!

Nun, ich bin kein Mathelehrer, aber das klingt nicht nach zeitgemäßem Matheunterricht für mich. Da fehlt es aus meiner laienhaften Sicht an irgendeiner Art motivierendem Einstieg oder einem Problem aus der Lebenswelt der Schüler, die zum mathematischen Lösen animiert.

Etwas sagen möchte ich zu Hausaufgaben: Der allergrößte Teil aller Hausaufgaben ist überflüssig wie sonst was, Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für Schüler, die ohnehin durch immer längere Schultage wenig Freizeit haben. Die einzige Art von Hausaufgaben, die ich selbst gebe, ist das Lernen von Vokabeln (in humanen Portionen, d.h. maximal 10 neue Vokabeln und ein paar mehr Wiederholungsvokabeln). Das gehört zum Anforderungsbereich I und ist etwas, das prinzipiell alle Schüler können (weil wir es auch geübt und verschiedene Lernmethoden ausprobiert haben). Alle anderen Hausaufgaben, insbesondere höhere Anforderungsbereiche) sind in meinen Augen größtenteils grober Unfug, weil …

  • frustriert Schüler, die im Unterricht vielleicht nicht folgen konnten und zu Hause keine Hilfe bekommen können
  • frustriert Eltern, die sich dann um Unterstützung bemühen müssen
  • frustriert Lehrkräfte, die sich mit nicht gemachten Hausaufgaben herumärgern müssen
  • sind Dank Google, ChatGPT und diverser anderer Plattformen ohnehin nicht aussagekräftig
  • dürfen ohnehin nicht bewertet werden, da weder beurteilt werden kann, ob es sich um eine Eigenleistung handelt noch alle Schüler zu Hause die gleichen Voraussetzungen haben

Selbst basale Aufgaben wie einen Text zu lesen (sowas macht man in meinem Zweitfach Geschichte schon mal), mache ich ausschließlich im Unterricht, damit die Schüler direkt fragen können, wenn sie etwas nicht verstehen. Und weil ich nicht von ihnen verlangen will, sich den Inhalt solcher Texte möglicherweise tagelang zu merken.

Dieser Lehrkraft würde ich in allererster Linie ein Kommunikationsproblem attestieren. Da komme ich auch zu einem Punkt zurück, den ich schon angesprochen habe: Als Lehrkraft sollte man sich und sein Fach nicht so wichtig nehmen. Und man muss sich immer wieder bewusst machen, dass vor einem Kinder sitzen, die nicht nur dieses eine Fach haben, sondern viele und zudem keine Experten in dem Fach sind.

Um es ganz unmissverständlich auszudrücken: Die Art und Weise, wie in deinem Zitat Rückmeldung gegeben wird, geht überhaupt nicht. Da sind wir uns einig. Aber wo fängt „shaming“ an und was geht noch in Ordnung? Leider musst du als Lehrkraft ständig Rückmeldung geben und du musst auch leider mal negative Rückmeldung geben, denn irgendwo muss ja auch transparent sein, wie etwaige Noten zustande gekommen sind (es gibt übrigens nichts, was ich an dem Beruf weniger mag als Noten zu geben). Und leider habe ich auch nicht die Möglichkeit, allen Schülern immer im Einzelgespräch zu sagen, was sie falsch gemacht haben, außerdem ist ja eine Idee auch, dass die ganze Gruppe von den Fehlern anderer lernt. Positive Fehlerkultur und so, aber ich glaube, dass das hier gar nicht der Punkt ist.

Verstehe ich das Beispiel richtig, dass der Schüler oder die Schülerin eine Hausaufgabe bekommen hat, mit der er oder sie überfordert war und dann frustriert das Handtuch geworfen hat, Heft zugeklappt und das war es?

Gut, der Ursprungsfehler liegt in der Hausaufgabe an sich, wie schon beschrieben, aber manchmal (nicht immer!) ist „konnte ich nicht“ auch die Schülerversion von „hatte keine Lust“. Das kann man mit durchaus verständnisvollem Nachfragen auch herausfinden. Leeres Heft oder Arbeitsblatt sind zusätzliche Indizien. So viel Ehrlichkeit muss sein: Als ich Schüler war, habe ich auch lieber gesagt, dass ich die Aufgabe nicht konnte oder das Thema nicht verstanden habe als dass ich keine Lust hatte oder es vergessen habe. Mit der Schelte, dass ich das doch können müsste, habe ich auf jeden Fall lieber gelebt als mit den potentiellen Folgen für offen zugegeben Bocklosigkeit (womöglich hätte der Lehrer bei meinen Eltern angerufen und denen das gesagt und vielleicht hätten sie mich dann nicht mehr so viel SNES spielen lassen, was der eigentliche Grund war, warum ich die Hausaufgaben oft nicht gemacht habe. Will mir gar nicht vorstellen, was für Probleme ich heute als Schüler hätte, mit Smartphones und ubiquitärer Medienverfügbarkeit).

Du musst das als Lehrkraft in kurzen Augenblicken entscheiden. Denn es schauen auch immer ~24 weitere paar Augen auf dich und wie du reagierst und wenn du nicht konsequent handelst, kann das gravierende Auswirkungen haben. Du wirst als Lehrkraft regelmäßig von den Schülern ausgetestet (tlw. auch sicherlich unbewusst), was du durchgehen lässt und was nicht. Das soll wie gesagt keine Entschuldigung für Shaming oder Mobbing sein, aber man steht schon auch unter Druck, sich permanent zu behaupten, sonst entgleitet dir irgendwann womöglich die halbe Klasse.

Ich habe ja schon gefragt, wo fängt Shaming an und was geht als angemessene Kritik durch? Es gibt Schüler, die haben schon feuchte Augen, wenn du ihnen nur sagst, dass ihr Ergebnis leider nicht richtig ist („falsch“ zu sagen wäre noch mal drei Stufen schlimmer). Ja bitte, wenn das schon schlimm ist, was bleibt noch an Möglichkeiten? Das ist natürlich ein Extrembeispiel, aber die Schüler können auch nicht bis zum Abschluss in die wattigste aller Watten gepackt werden. Nach der Schule fängt der Schüler dann bei Herrn Lott in der Firma an und baut komplett Mist. Das wirst du ihm dann auch klar sagen, oder? Nicht, dass das falsch rüberkommt, als wäre das so alte Schule mäßig, ich müsste die Schüler brechen, damit sie spuren, so bin ich gar nicht, ich will niemanden vor der Klasse bloßstellen oder zum Gespött machen. Aber ein gewisses Maß an Kritik aushalten können sollte jeder.

Wenn du tatsächlich noch weiterdiskutieren möchtest (an dieser Stelle einmal vielen Dank, dass du dir die ganze Zeit nimmst, das weiß ich echt zu schätzen), würde ich dich gern mal Fragen, wie du in folgender Situation vorgehen würdest:

Die Klasse hatte eine Hausaufgabe im niedrigen Anforderungsbereich auf, sagen wir mal, eine Bildquelle beschreiben (also einfach nur zu Papier bringen, was man auf dem Bild sieht). Wurde grundsätzlich schon öfter im Unterricht gemacht, die Aufgabe soll eine Vorbereitung zur vertieften Analyse des Bildes sein. Du nimmst einen Schüler dran, der sich im Unterricht nur sporadisch beteiligt, aber durchaus auch schon nachgewiesen hat, dass er zu guten Leistungen in der Lage ist. Seine Antwort auf das Drannehmen ist: „Hab ich nicht.“ Auf die Frage „Warum?“ sagt er: „Hab die Aufgabe nicht verstanden.“

Wie reagierst du?

Nichts ist übertrieben, aber zu wenig, da bin ich wieder voll bei dir. Ist aber leider Zeit und Geld, die woanders dann wieder fehlen. Ich wäre aber total dafür, sich die zu nehmen und an anderer Stelle zu sparen, da wüsste ich genug Möglichkeiten.

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